Nur wenn er sich in Viola nicht täuschte, war auch sein
Urteil über die Eurotas richtig.
Er bemerkte, daß Herrick neben ihm auftauchte.
«Mr. Lakey verpfändet sein Wort, daß es bis Mittag so bleiben wird, Sir!«Herrick wartete und blinzelte in die
Dunkelheit.»Aber wenigstens können wir dann sehen, wo wir sind. Ich habe den Ausguck verdreifacht, denn wir treiben weiter ab, als hier ratsam ist. «Er war heiser vom
Schreien der Befehle.»Vielleicht hätten wir an die Eurotas herangehen und sie entern sollen, und zum Teufel mit dem Wetter!«Er dachte nur laut, aber es klang nach Kritik.»Jetzt erscheint mir nichts mehr sicher.»
Bolitho entgegnete:»Wenn ich recht habe, Thomas, dann wären beide Schiffe in Gefahr gewesen. Die Passagiere, die Deportierten, und wer weiß, wer noch sie wären bei dem Angriff getötet worden.»
Herrick wischte sich mit dem Ärmel über den Mund.»Ja, das stimmt wohl. Ich vermute, daß die Deportierten jede Beherrschung verloren, als das Schiff auflief, und dann die Macht an sich rissen. «Er drehte sich um und wartete auf Bolithos Meinung.
«Falls das Schiff überhaupt auflief. An dem allen stimmt etwas nicht, Thomas.»
Starling, einer der Steuermannsmaaten am Kompaß, rief:»Oben ist was weggeflogen, Sir!»
Als Bestätigung für seine Warnung polterten zwei Blöcke und etwa fünfzig Fuß Tauwerk wie eine zweiköpfige Schlange auf das Achterdeck herab. Starling rief schon nach zusätzlichen Leuten, um in die trügerischen Wanten zu klettern und den Schaden zu beheben. Er war zwar geringfügig, aber wenn er unbeachtet blieb, konnte daraus Schlimmeres entstehen. Bolitho hörte dem Steuermannsmaat anerkennend zu. Starling war mit seinem Kutter im letztmöglichen Augenblick an Bord genommen worden, damit sein Lotgast dem Schiff half, so schnell wie möglich von den Riffen klarzukommen. Ein Fehlgriff oder einer, der die Nerven verlor, und der Kutter wäre vielleicht zurückgeblieben. Und diesen Seegang hätte er unmöglich abwettern können. Dennoch hatte Starling, der als Trommeljunge bei einem Infantrieregiment angefangen hatte, ehe er dort davonlief, weil er lieber auf einem Schiff des Königs dienen wollte, wenig Aufregung verraten, als er auf dem Achterdeck seine Meldung machte.
«Gerade noch rechtzeitig, Sir«, war alles, was er gesagt hatte. Und jetzt war er dabei, die Wache auf dem Achterdeck einzuweisen, als ob nichts Ungewöhnliches geschehen wäre.
Bolitho sah die Beine und die ausgefranste Hose eines Seemannes hastig auf
entern. Seine nackten Füße bewegten sich schnell wie Paddel. Er erkannte in dem Mann Jenner, ehe er im Gewirr der Takelage verschwand. Ein weiteres Beispiel für menschliches Treibgut: Jenner war Amerikaner, der in der revolutionären Marine gegen die Briten gekämpft hatte. Ein guter Seemann, wenn auch ein Träumer, der sich seinen alten Feinden angeschlossen hatte, als langweile ihn bereits die Unabhängigkeit, die zu erringen er mitgeholfen hatte.
Unmittelbar vor dem Achterdeck war ein weiteres Rätsel: ein riesiger Neger, der sich vor den Seen duckte oder geschickt beiseite sprang, wenn sie die Zwölfpfünder überfluteten. Man hatte ihn halbtot in einem treibenden Langboot aufgefunden, kurz nachdem Bolitho das Kommando übernommen hatte. Er war nackt und von Sonne und Durst böse zugerichtet. Schlimmer noch: als man ihn nach unten zum Schiffsarzt gebracht hatte, hatte Gwyther in seiner präzisen Art gemeldet:»Der Mann hat keine Zunge. Sie ist ihm abgeschnitten worden.»
In dem Langboot hatte man sonst nur noch eine Metallscheibe gefunden, mit dem eingraviertan Namen >Orlando<. Der Name eines Schiffes, eines Menschen, eines Stücks der Ladung? Niemand wußte es. Bolitho hatte den Verdacht, daß das Boot von einem Sklavenschiff stammte und der große Neger entweder zu fliehen versucht hatte oder als Warnung für andere ausgesetzt worden war.
Doch als die Tempest Land erreichte, wollte der Schiffbrüchige nicht von Bord, trotz allem, was ihm in jeder denkbaren Sprache gesagt wurde. So war er unter seinem neuen Namen Orlando in die Musterrolle eingetragen und unter die Besatzung aufgenommen worden. Da der Amerikaner Jenner besser als die meisten anderen mit Orlando zurechtkam, hatte Herrick die beiden der Achterwache zugeteilt. Der Besanmast war mit seiner Takelage der bei weitem unkomplizierteste auf einem Rahsegler, und Orlandos Stummheit und Jenners
Verträumtheit, die selbst die Berührung mit dem Tampen des Bootsmanns nicht hatte heilen können, richteten dort noch am wenigsten Schaden an.
Auch das war wieder typisch für Herrick. Er war stets um seine Leute besorgt, und seine Ideale, das eigensinnige Festhalten an seinem Rechtsgefühl, hatten ihn mehr als einmal in wirkliche Gefahr gebracht. Bolitho wünschte Herrick schon lange die Beförderung, die er in so hohem Maß verdiente. Doch der Friede, die vielen arbeitslosen Seeleute, hatten für ihn jede Chance blockiert. Herrick hatte Glück, daß er überhaupt wieder eingesetzt worden war. Im Gegensatz zu Bolitho stammte er aus einer armen Familie. Für das, was er heute besaß, hatte er schwer gearbeitet. Daß er die See liebte, war ein mühsam erworbener Bonus.