Sein Name war Bonaparte.
XIV Am Ziel
Lysander OsirisTag um Tag trotzten die beiden Linienschiffe mit ihren schweren Rümpfen dem Sturm, und hinter den dichtgemachten Stückpforten quälten sich die Mannschaften mit dem ewigen Rollen und Stampfen des Schiffs herum, jeden Moment gewärtig, daß die Bootsmannspfeifen schrillten und es hieß:»Alle Mann auf zum Marssegelreffen!«Und dann kämpften sie oben den gefahrvollen Kampf gegen den Wind, auf den Fußpferden stehend, den Leib gegen die schwankende Rah gepreßt, Hand über Hand, Zoll für Zoll, die mörderische Leinwand einholend.
Die Buzzard, die solchem Wetter nicht gewachsen war, wurde aus dem Verband entlassen und konnte vorm Wind davonsegeln, so daß die verbleibenden Schiffe mit dem Heulen des Sturmes und dem Donnern der überkommenden, alles durchweichenden See alleinblieben wie in einer Arena, die noch dazu immer kleiner wurde. Denn stündlich verschlechterte sich die Sicht, kaum noch waren Regen und Spritzwasser voneinander zu unterscheiden, und aus welcher Richtung sie der Wind in der nächsten Minute anfallen würde, wußte keiner vorauszusagen.
Bolitho selbst kam sich in diesen endlosen Tagen vor, als ginge die Osiris ihn im Grunde gar nichts an. Die Gesichter, die er an Deck sah, waren ihm fremd; die Gesprächsfetzen, die sein Ohr erreichten, bedeuteten ihm nichts. Auch Farquhar kam ihm ganz anders vor. Mehrfach hatte der Kommandant Ausbrüche von Jähzorn gehabt, die selbst den toleranten Outhwaite erschreckten; einmal hatte er einen Bootsmannsmaaten angeschnauzt, weil dieser nicht hart genug zugeschlagen hatte, als ein Mann in einer Sturmbö nicht aufentern wollte. Der Bootsmannsmaat hatte erklären wollen, daß der Betreffende kein richtiger Seemann sei, sondern ein Küfersmaat. Denn bei dem Sturm hatten so viele Matrosen Verletzungen erlitten, daß der Bootsmannsmaat, genau wie die Offiziere, die Leute hernehmen mußten, wo er sie kriegen konnte.
«Keine Widerrede!«hatte Farquhar gebrüllt.»Sie haben ja schon selbst Leute gepeitscht! Wenn Sie mir noch einmal wiedersprechen, dann werden Sie selbst spüren, wie das tut!»
Und der Mann wurde mit Schlägen hinaufgetrieben, rutschte vom Fußpferd ab und fiel über Bord, ohne daß man auch nur einen Schrei hörte.
Wie mochte wohl Herrick diesen Sturm abwettern, und wo mochte er in diesen schrecklichen Tagen sein? fragte sich Bolitho immer wieder.
Farquhar jedoch meinte:»Wenn dieses Mistwetter nicht wäre, hätte ich die Lysander schon längst eingeholt!»
Bolitho hielt das für leeres Gerede.»Glaube ich kaum«, hatte er erwidert.»Die Lysander ist das schnellere Schiff. Und sie wird gut geführt.»
Das mochte Farquhar gegenüber unfair sein; doch dem war Herricks Schicksal anscheinend so gleichgültig, daß Bolitho sich alle
Mühe geben mußte, um nicht noch öfter solche bissigen Bemerkungen zu machen. Wie die vorwurfsvolle Stimme des Gewissens vernahm er in seinem Innern immer wieder die Worte: Es war deine Entscheidung. Du hast Herrick zu hart angefaßt. Du warst zu ungeduldig. Es ist deine Schuld.
Und dann, eine Woche nach Syrakus, flaute der Sturm ab und drehte auf Nordwest; doch als der Himmel wieder klar und die See tiefblau war, wußte Bolitho, daß es tagelanges mühsames Kreuzen kosten würde, die Distanz wieder aufzuholen, die sie während des Sturmes eingebüßt hatten.
Jedesmal, wenn er an Deck war, fiel ihm auf, daß die Offiziere der Wache ihm auswichen und sorgfältig vermieden, ihm bei seinen einsamen Gängen auf der Kampanje näher zu kommen. Seine selbstgewählte Einsamkeit gab ihm Zeit zum Nachdenken; aber ohne neue Informationen war das, als pflüge man altes Land um, weil man nichts zu säen hatte.
Am Vormittag des neunten Tages studierte er in seiner Kajüte die Karte und trank einen Krug Ingwerbier dazu Farquhar hatte sich davon einen guten Vorrat zum eigenen Verbrauch mitgenommen.
Farquhar würde sich ins Fäustchen lachen, wenn in Korfu schließlich doch nichts zu Tage kam, was Bolithos Theorien bestätigte! Natürlich würde er sich nichts anmerken lassen, aber innerlich würde er lachen. Denn dann hatte er nicht nur korrekt gehandelt, sondern auch bewiesen, daß er einen weit besseren Kommodore abgeben würde als Bolitho.
Sir Charles Farquhar. Komisch, daß ihn der neue Titel dieses Mannes so irritierte. Er wurde vielleicht schon so wie Herrick. Nein, es saß tiefer. Es war, weil Farquhar sich den Titel nicht verdient hatte; jetzt, da er ihn besaß, konnte ihm nichts mehr entgehen. Man brauchte nur in die Rangliste der Marine zu schauen, dann wußte man, wo die Beförde rungen hinfielen. Bolitho dachte an Pascoes Worte und mußte lächeln. Die >Nelsons< dieser Welt holten sich ihren Titel auf dem Schlachtfeld oder angesichts einer feindlichen Breitseite. Die mehr Glück hatten und an Land saßen, bewunderten zwar ihren gefahrvollen Aufstieg, hätten sich aber kaum ernstlich an ihre Stelle gewünscht.
Ruhelos wanderte Bolitho in der Kajüte umher. Über sich hörte er die Matrosen an und über Deck arbeiten. Spleißen, nähen, kalfatern nach einem Sturm war das doppelt so wichtig wie sonst. Er mußte wieder lächeln. Die mehr Glück hatten und an Land saßen. Im tiefsten Herzen wußte er: mit allen Mitteln hätte er sich gegen einen Posten in der Admiralität oder in einem Marinehafen gesträubt.