Rigby starrte ihn einen langen Augenblick an. “Keine Kameras haben den Angriffswinkel aufgezeichnet”, entgegnete er ihm schließlich. “Doch wenn Sie möchten, können Sie gerne den Bericht des Kapitäns lesen.” Der General schob ihm einen Hefter zu.
Er öffnete ihn. Auf der ersten Seite befand sich ein sehr kurzer Bericht von nur einigen Absätzen, verfasst durch einen Kapitän Warren. Die Details waren spärlich. Warren gab nur an, dass ein Schiff der Iranischen Revolutionsgarde zwei Raketen auf die Constitution gefeuert hatte. Keine der beiden traf, doch der Versuch wurde als ausreichend bedrohlich angesehen, um Warren zu dem Urteil zu führen, das Feuer zu erwidern. Dies tat er jedoch, wie Null richtig angenommen hatte, mit acht Tomahawk Geschossen. Das feindliche Schiff wurde ausgelöscht.
Nicht nur war es ein Overkill, doch es war auch der einzige Teil des Berichtes, den Null wirklich glaubte. Alles andere könnte man leicht fälschen. Der Golf von Persien und Kapitän Warren waren tausende von Kilometern entfernt. Zu weit weg, um ihn auf bedeutungsvolle Weise zu befragen.
“Um nun zurück zur Sache zu kommen”, fuhr Rigby fort. “Die Iraner betrachten dies öffentlich als eine Kriegshandlung. Sie sagen, wir hätten zuerst gefeuert. Es hat keine formelle Kriegserklärung von ihnen gegeben, doch das amerikanische Volk erwartet eine definitive Antwort. Wir können keinen weiteren Angriff dulden —”
“Weiteren Angriff?” unterbrach Null erneut.
Rigby blinzelte in seine Richtung. “Waren Sie nicht im Midtown Tunnel während des Attentats, Agent? Als Hunderte von amerikanischen Leben ausgelöscht wurden?”
Null schüttelte seinen Kopf. “Das war das Werk eine radikalen Terrorgruppe, die aus weniger als zwanzig Mann bestand. Keine ganze Nation oder Region.”
“Sagen Sie das dem amerikanischen Volk”, argumentierte Rigby.
Null antwortete nichts, doch er wusste in diesem Moment, dass seine Annahme korrekt war. Die Verschwörer wollten das kürzlich durchgeführte Attentat benutzen, um die Menschen für den Krieg zu stimmen.
“OK”, unterbrach Pierson und hielt eine Hand hoch. “Lasst uns mal einen Schritt zurückgehen hier. Roland, welche weltweiten Reaktion gibt es?”
Der Staatssekretär, Roland Kemmerer, überflog schnell seine Notizen, während er sprach. “Zuerst die schlechten Nachrichten. Geheime und Satelliteninformationen weisen darauf hin, dass der Iran schon Verbündete sowohl im Irak und Oman, als auch bei einigen syrischen nationalistischen Gruppen sucht. Schließen sie sich zusammen, dann hätten sie die Fähigkeit, die Hormus Meeresenge zu schließen.”
Er hielt einen Moment inne, damit das Kommentar seine Wirkung hätte, bevor Rigby sagte: “Sie wissen, wie schädlich das sein könnte, Mr. Präsident.”
“Nicht nur verhinderte es das strategische Vorteil der Fünften Flotte”, fügte Holmes hinzu, “sondern wir könnten uns ebenfalls einer großen wirtschaftlichen Krise ausgesetzt sehen.”
“Eine Rezession, um es milde auszudrücken. Vielleicht auch schlimmeres.” Kemmerer schüttelte seinen Kopf.
Null biss sich auf die Lippe, um nicht zu reagieren. Mistsäcke. Das war alles so geprobt wie ein Theaterstück. Die hatten Jahre auf diesen Augenblick gewartet. Er hätte niemals gedacht, dass er dabei anwesend wäre, doch hier saß er im Krisensaal, während diese Kriegshetzer versuchten, einen Präsidenten zu überzeugen.
Pierson rieb sich gedankenvoll das Kinn. Sein Gesicht war aschfarben. Nicht nur war er die einzige Person, die dafür verantwortlich war, ob Amerika in den Krieg zöge, doch eine Rezession war sicherlich nicht etwas, das er zuvor in Betracht gezogen hatte. “Gibt’s auch gute Nachrichten?”
Der Staatssekretär seufzte. “Die Vereinten Nationen wollen das Ereignis untersuchen. Die Europäische Union, China, Japan und fast alle anderen Verbündeten geben schon Verkündigungen von Neutralität für jeglichen zukünftigen Konflikt, der ausgelöst werden könnte, bekannt. Abgesehen von einem.”
Null wusste es schon, bevor Kemmerer es aussprechen konnte.
“Russland.” Der Staatssekretär wand sich ein wenig auf seinem Platz. “Es scheint, als ob ihre eigenen Handelsabkommen mit dem Iran sich verschlechtert hätten. Sie sind bereit, uns Hilfe zu leisten, falls wir sie benötigen.”
“Präsident Ivanov hat schon Ressourcen für unser Anliegen zur Verfügung gestellt, falls wir entscheiden, dass es in unserem besten Interesse liegt”, erklärte Holmes.
“Krieg”, murmelte der Präsident. “Lasst es uns besser beim Namen nennen. Falls Krieg in unserem besten Interesse liegt.”
Null blickte hinüber zu Pierson. Der Präsident sah fahl im Gesicht aus und er starrte ausdruckslos auf die glänzende Mahagonifläche des Tisches. Null war zwar sehr erfahren darin, Gesichtsausdrücke und kleine Hinweise zu lesen, doch er konnte nicht sagen, ob Pierson diesen Haufen Mist kaufte, den ihm sein Kabinett da versuchte, anzudrehen. Müsste er raten, dann sagte er, dass Pierson kurz davor stand, nachzugeben.
“General Rigby”, fragte der Präsident, “welches ist Ihre Position?”
Jetzt kommt’s. Der knallharte Ratschlag, dass die USA im Nahen Osten in den Krieg ziehen soll.
“Ich bin der Meinung, dass wir die Fünfte Flotte mobilisieren sollten”, antwortete Rigby, “und ihnen unser volles Potential im Persischen Golf zeigen sollten. Wir können noch weitere Unterstützung aus dem Golf von Oman einberufen. Aber…” Der General hielt inne und schüttelte seinen Kopf. “Ich kann nicht anraten, dass wir einen Krieg deswegen beginnen.”
Null sträubte sich. Er konnte seine Reaktion dieses Mal nicht verstecken. Sein Mund blieb bei der Bemerkung des Generals leicht offenstehen. Rigby spielte etwas vor, war er sich sicher, doch es war dennoch ein Ablenkungsmanöver.
“Ich finde, dass wir unsere Position im Golf halten und den Iranern zu verstehen geben sollten, dass wir Konflikt auf jede mögliche Art meiden wollen”, fuhr er fort. “Sollten sie handeln, so reagieren wir, doch bis dahin halten wir unseren Kurs.”
“Bei allem Respekt, General”, erwiderte Holmes, “doch aufgrund der kürzlich geschehenen Ereignisse bin ich mir nicht sicher, dass diese Perspektive gut beim amerikanischen Volk ankommen wird.”
“Nein”, stimmte Pierson zu, “doch der General hat recht. Wir können es nicht zulassen, dass man dieser Situation unverhältnismäßige Bedeutung zuspricht und ich glaube nicht, dass die Iraner ohne weitere Provokation einen Krieg erklären werden, Mr. Holmes”, wandte er sich an seinen Stabschef. “Lasst uns gleich mit einer Ansprache an die Nation anfangen. Wir erklären, dass der Angriff im Persischen Gold zu keinem Verlust von amerikanischen Leben führte, und dass wir uns nicht zu Feindlichkeiten hinziehen lassen.”
“Ja, Mr. Präsident.”
Nulls Gehirn arbeitete wie verrückt. Er hatte wirklich erwartet, dass dies das Treffen wäre, indem die USA dem Iran den Krieg erklärte und zügig handelte, um die Kontrolle über die Meeresenge von Hormus zu übernehmen…
Oh. Die Erkenntnis traf ihn wie ein Ziegelstein auf den Kopf. Erklärten sie jetzt den Krieg, dann machte das ihr Vorhaben zu offensichtlich. Er, Agent Null, hatte es herausgefunden. Er wusste zwar, dass er extrem intelligent war – da war schon wieder diese Selbstüberschätzung – doch andere wussten es ebenfalls. Jemand anders könnte dasselbe annehmen wie er. Nein, diese Leute hatten Jahre, um das hier zu planen. Sie waren in keiner Eile.
Er hatte gedacht, hatte angenommen, dass dieses ganze Treffen das Theaterstück war. Doch es war nur eine Probe. Was bedeutete… Da wird es noch etwas anderes geben. Kein Attentat. Kein Gefecht.