Der Mann, der in der Tür stand, sah nicht gerade glücklich aus – erschöpft und ärgerlich, dass er gestört worden war. Die Sonne ließ ihn blinzeln.
„Wer sind Sie?“, fragte er.
„Sind Sie Joseph Hix?“, fragte Kate.
Der Mann stieß einen grunzenden Laut aus, so, als sei er sich selbst nicht über die Antwort im Klaren. Er schien nicht vorzuhaben zu antworten. Als Kate wartete, konnte sie eine Alkoholfahne ausmachen – irgendetwas Starkes. Whiskey, dachte sie.
DeMarco hatte als Erste ihren FBI-Ausweis gezückt. Dann holte auch Kate ihren hervor. Sie war sich bewusst, dass ihr spezielles Arrangement mit Duran und dem FBI gute Lernmöglichkeiten für DeMarco darstellten und überließ ihr deshalb die Führung.
„Agents DeMarco und Wise“, sagte DeMarco. „Wir sind hier vor Ort in Frankfield, weil wir im Mordfall an Ihrer Frau ermitteln.“
Der Mann nickte und trat einen Schritt von der Tür zurück. Er schwankte leicht und Kate fragte sich, ob er den Whiskey, den sie roch, gerade erst getrunken hatte. Es war nicht einmal 14 Uhr.
„Also … ja … ich bin Joseph. Den Trip hätten Sie sich sparen können. Ich kann Ihnen sagen, wer sie umgebracht hat. Kommen Sie rein … ich werde Ihnen mal was erzählen.“ Er grinste, fand irgendetwas lustig, was für die Agents nicht nachzuvollziehen war, und ging voran in die Wohnung.
„Moment mal“, begann DeMarco, „so etwas können Sie doch nicht einfach behaupten. Oder wissen Sie mit absoluter Sicherheit, wer sie ermordet hat?“
„Beweise habe ich keine, aber eine verdammt genaue Vermutung.“
„Vielleicht überlassen Sie es uns, das zu beurteilen“, meinte Kate. „Was genau haben Sie denn?“
„Ich zeig’s Ihnen.“
Sie folgten ihm nach drinnen und Kate fühlte sich leicht unwohl. Sie war nicht sicher, ob Hix einfach nur trauerte und betrunken war, oder ob er auch durchgedreht war – oder beides. Ihr war klar, dass Männer anders trauerten als Frauen. Und der müde, mir-ist-alles-scheißegal-Ausdruck, den sie bei Hix gesehen hatte, als er ihnen öffnete, führte selten zu etwas Gutem.
Das Apartment war nett eingerichtet, war allerdings eher klein. Hix ging direkt in die Küche. Er versuchte nicht einmal, sich zusammen zu reißen. Er griff sich die Whiskey-Flasche, die auf der Arbeitsfläche stand und goss sich ein großzügiges Glas ein. Dann zuckte er mit den Schultern und trank den Whiskey in einem Zug aus.
„Davon kommt sie nicht zurück“, meinte er mit einer Grimasse, „aber es lindert den Schmerz.“
„Dies ist die Wohnung Ihres Bruders, richtig?“, fragte Kate.
„Ja. Ein echtes Loch. Aber Kyle … er ist alles, was mir noch geblieben ist.“
„Mr. Hix, sind Sie in der Lage, einige unserer Fragen zu beantworten?“
„Ja. Aber wie ich schon sagte, ich kann Ihnen erzählen, wer sie umgebracht hat. Das habe ich auch den Bullen schon gesagt, aber Sie sehen ja, wie weit mich das gebracht hat.“
Kate wollte nicht darauf eingehen; sie wollte ihn nicht ermutigen, das Gespräch in eine Richtung zu steuern, die ihnen nicht weiterhalf. DeMarco schien es genauso zu sehen, denn sie tat ihr Möglichstes, mit der nächsten Frage den Bogen zurück zu finden.
„Sie arbeiten als Angebotsspezialist, richtig?“, begann sie. „Irgendetwas mit Telekommunikation?“
„Ja. Sie haben mir zwei Monate frei gegeben … als tun sie mir damit einen Gefallen. Ich arbeite sechzig Stunden die Woche und bin insgesamt pro Jahr mindestens zwei Monate für sie in Frankreich.“
„War das eine Belastung für Ihre Ehe?“, fragte Kate.
Er nickte und zog die Flasche zu sich herüber. Sehnsüchtig blickte er den Whiskey an; er wollte sich unbedingt nachschenken und Kate sah ihm an, dass er darüber nachdachte.
„Natürlich. Die meiste Zeit war sie unglücklich. Wenn ich da war, tat sie immer, als sei sie glücklich, und wenn ich weg war, hat sie mir keine Szene gemacht. Vielleicht klinge ich wie ein Bastard, aber ihr gefiel das Geld. Sie machte immer Witze darüber, aber es war viel Wahres daran. Und ihre Witze nahmen zu, nachdem unser Sohn weg war.“
„Weg?“
„Ja … nachdem er begann, aufs College zu gehen, wurde alles etwas angespannter.“
„Wie lange ist das her?“
„Neun oder zehn Jahre. Verstehen Sie mich nicht falsch … wir haben uns sehr geliebt. Es ist mir schleierhaft, wie sie mich so sehr lieben konnte, wie sie es tat, aber …“
Er beschloss, sich noch einmal nachzuschenken. Er wirkte wie ein Roboter und seine Bewegungen ließen auf viel zu viel Übung schließen.
„Wir haben oft darüber gesprochen, zu reisen, wenn er aus dem Haus ist. Rom, Sydney, Madrid … das waren unsere Hauptziele. Aber ich glaube, sie wusste, dass es nie geschehen würde … dass ich mich nicht darauf einlasse.“
Während er sprach, fiel Kate wieder der Anruf von Melissa ein. Sie fragte sich, ob die Probleme, die Melissa und Terry hatten, ähnlicher Natur waren, und wurde sogleich wieder von Schuldgefühlen heimgesucht. Keiner von ihnen verdiente zwar annähernd genug Geld, um sich gegenseitig große Reisen versprechen zu können, aber ein abwesender Partner war nun einmal ein abwesender Partner, egal, wie man es betrachtete. Sie konnte sich trotzdem nicht erklären, warum sie genau in diesem Moment das Bedürfnis verspürte, mit Melissa zu sprechen.
DeMarco jedoch, die immer besser darin wurde, potentielle Verdächtige zu befragen, machte schnell und effektiv weiter.
„Waren Sie bei der Arbeit, als Marjorie ermordet wurde?“
„Ja. Ich saß gerade im Flugzeug von Seattle nach Chicago. Dort war ich drei Tage lang, geschäftlich. Ich bin in O’Hare gelandet und hatte eine Flut von verpassten Anrufen und SMS von der Polizei erhalten, noch bevor ich die Maschine verlassen hatte.“
„Sie behaupten zu wissen, wer sie umgebracht hat“, fuhr DeMarco fort. „Meinten Sie es auch zu dem Zeitpunkt zu wissen, als Sie noch am Flughafen waren?“
„Mehr oder weniger ja. Doch jetzt, fast eine Woche nach der Tat und wo es noch immer keinen Verdächtigen gibt, bin ich mir zunehmend sicherer.“
„Und wen verdächtigen Sie?“
„Einen Kerl namens Andrew Bauer.“
„Und warum glauben Sie, dass er es getan hat?“
„Weil er immer auf Marjorie scharf gewesen ist … seit sie damals das College abgeschlossen haben und feststellten, dass sie keine zehn Minuten voneinander entfernt wohnten. Der Kerl ist ein Schleimer. Ich weiß, dass das verurteilend und überheblich klingt, aber der Typ ist Single und lebt in einer Wohngegend, in der hauptsächlich Familien mit Kindern leben. Und er ist tagelang zuhause, lungert in der Nachbarschaft herum und versucht sich mit all den einsamen Hausfrauen anzufreunden, deren Ehemänner lange arbeiten.“
„Und woher wissen Sie das alles?“
„Das weiß eigentlich jeder. Andrew ist Pilot. Er arbeitet ein paar Tage, dann ist er ein paar Tage zuhause. Ich bin nicht der einzige Mann in der Nachbarschaft, der mit ihm ein ernsthaftes Wort zu reden hatte.“
„Was für eine Art von Wort?“, fragte Kate.
„Vor etwa einem Jahr kam ich nach Hause und fand ihn in unserem Garten stehen, wo Marjorie gerade Unkraut zupfte. Er hatte dieses fiese Grinsen im Gesicht. Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll. Er ist einfach schleimig.“
„Wo ist die Verbindung zu der Tatsache, dass Sie ihn des Mordes an Ihrer Frau verdächtigen?“, fragte DeMarco.