Auch nun blieb Mary weiterhin stumm. Sie saß etwas starrer auf ihrem Stuhl, aber ansonsten blieb sie weitgehend unverändert.
„Ms. Seibert“, fuhr DeMarco fort, „Sheriff Armstrong sagte uns, dass Sie sich verdächtigt fühlen. Wir sind hier, um Ihnen zu sagen, dass das ab sofort nicht mehr der Fall ist. Wir haben ein solches Interesse an Ihnen, weil Sie die erste am Tatort waren. Und auch, weil wir hoffen, dass Sie in Ihrem Beruf in letzter Zeit etwas gesehen oder gehört haben, das uns bei diesem Fall helfen könnte. Nichts weiter. Wir würden gerne mit Ihnen sprechen, damit wir versuchen können, festzustellen, wie lange die Leiche schon vor Ihrer Ankunft dort gelegen hat, vielleicht wenn Sie noch etwas anderes Merkwürdiges gesehen haben, solche Dinge“.
Mary wurde etwas lockerer. Kate staunte darüber, wie gut DeMarco sich machte. Sie hatte nicht nur daran gearbeitet, Marys Ängste zu zerstreuen, sondern sie hatte der Frau auch subtil das Gefühl gegeben, dass das, was sie beitragen musste, sehr wichtig war – was es auch war.
„Nein, da war nur die Leiche“, sagte Mary. „Und all das Blut.“
„Kannten Sie Ms. Faraday überhaupt?“, fragte Kate.
„Nein. Obwohl ich später, als ich Bilder von ihr sah, ihr Gesicht erkannte. Ich hatte sie in der Stadt gesehen, wissen Sie? Es ist eine schöne Stadt, aber nicht sehr groß.“
„Und Sie waren allein, richtig?“, fragte DeMarco.
„Ja, es war nur ich.“
„Wie viele andere arbeiten für die Reinigungsfirma?“
„Wir sind zu fünft. Aber da dieses Haus weitgehend leer stand und es seit einiger Zeit nicht mehr betreten wurde, war ich die einzige, die hinging. Es sollte ein einfacher Wisch- und Staubjob sein. Die Fenster hatten noch nicht einmal Schmiere oder Dreck abbekommen.“
DeMarco blätterte durch den Aktenordner auf dem Tisch. „Und Sie kamen um 14:15 Uhr dort an, richtig?“
„Ja. Ich hatte an dem Tag noch ein anderes Haus zu reinigen. Aber das habe ich offensichtlich nicht mehr geschafft.“
„Das mag wie eine beunruhigende Frage klingen“, sagte Kate, „aber erinnern Sie sich zufällig, ob das Blut noch feucht war?“
„Oh, sicher. Es war noch nass. Es tropfte immer noch Blut aus dem Körper. So seltsam es scheint… das ist die Sache, die mich nachts nicht schlafen lässt. Es ist nicht das Gesicht der armen Frau oder gar die eklige Szene selbst; es ist das Geräusch, das frisches Blut macht, wenn es auf den Boden spritzt – dieses tropfende Geräusch.“
„Also, Ms. Siebert… wer macht die Anrufe und bittet Sie zu kommen, um das Haus zu putzen?“
„Das Immobilienbüro.“
„Und zu welcher Agentur gehörte dieses Haus?“, fragte DeMarco.
„Davis und Hopper Immobilien“.
„Sind sie schon sehr lange ein Kunde von Ihnen?“, fragte Kate.
„Vielleicht zwei Jahre. Sie zahlen gut und die Makler, die dort arbeiten, sind einige der nettesten Leute, die ich kenne.“
Für einen Moment herrschte Stille im Raum, als Kate und DeMarco ihre eigenen Gedanken im Kopf sortierten. Währenddessen schien Mary Seibert ziemlich entspannt – weit entfernt von der Frau, die Sheriff Armstrong ihnen vor weniger als zehn Minuten beschrieben hatte. Es war Kate, die schließlich das Schweigen brach. Sie hatte beschlossen, dass es keine Möglichkeit gab, dass Mary Seibert Bea Faraday getötet hatte, sie die Treppe hinaugeschleppt und ihren schlaffen Körper mindestens einen Meter weit von der Reling im zweiten Stock über die freie Luft geworfen hatte. Es war einfach unmöglich.
„Ms. Seibert, waren Sie schon mal in dem Haus?“
„Nein, das war das erste Mal.“
„Und während Sie dort waren“, sagte DeMarco, „haben Sie zufällig noch etwas anderes gesehen? Vielleicht eine Art Zeichen, dass jemand anderes dort gewesen sein könnte?“
„Wie ich schon sagte… alles was ich sah, war die Leiche. Nun, ich sah zuerst das Blut auf dem Boden, gleich als ich das Haus betrat, und dann sah ich ihre Leiche dort oben auf dem Kronleuchter. Ich glaube, ich hatte für ein paar Sekunden keine Ahnung. Ich erinnere mich, dass es mir sehr schwer fiel zu atmen und dann, als ich atmen konnte, schrie ich. Ich rannte nach draußen und rief die Polizei. Sie baten mich, im Auto zu warten, also tat ich das.“
DeMarco warf einen Blick auf Kate. Kate nickte ihr zu, während sie Mary Seibert ein Lächeln schenkte. DeMarco war die erste, die auf die Tür zuging und Mary dabei ihr eigenes Lächeln schenkte.
„Wie lange putzen Sie schon Häuser in der Gegend?“, fragte Kate.
„Etwa acht oder neun Jahre.“
„Sind Sie in all der Zeit schon mal auf etwas auch nur annähernd so etwas gestoßen?“
„Oh, hin und wieder kommen wir in ein Haus, das eindeutig benutzt wurde. Normalerweise sind es nur Teenager, die nach einem Ort zum Feiern suchen. Ab und zu finden wir Hinweise auf Leute, die auf dem Boden schlafen. Ich hatte einmal einen Freund, der eines Morgens in ein Haus kam und einen Obdachlosen im hinteren Schrank eines Schlafzimmers schlafen sah.“
„Das war hier in Estes?“, fragte DeMarco.
„Nein, irgendwo in der Nähe von New Castle.“
Kate und DeMarco tauschten Blicke aus, die sie beide während ihrer gemeinsamen Zeit von dem anderen bereits kannten und verstehen gelernt hatten. Es war ein Blick, der sagte: Diese Befragung ist vorbei.
„Vielen Dank für Ihre Zeit, Ms. Seibert. Wenn Sheriff Armstrong nichts von Ihnen braucht, können Sie gehen.“
Mary stand auf und war offensichtlich bereit, nach draußen zu gehen. „Ich habe gehört, es hat noch einen anderen gegeben. Ist das richtig?“
„Wir können noch keine genauen Angaben machen“, begann DeMarco durch die Tür zu sagen, hielt dann aber inne, drehte sich um und fügte hinzu: „Aber ich würde vorschlagen, sich von den Häusern, die derzeit zum Verkauf stehen, fernzuhalten, bis Sie etwas anderes hören.
„Wir könnten auch die gleiche Warnung an alle Immobilienangestellten in der Gegend weitergeben“, sagte Kate.
Mary nickte und schaute zu dem Tisch, als ob sie nicht sicher war, was sie denken sollte. Kate hatte den Ausdruck schon viele Male gesehen. Es war der Blick einer Frau, die das Städtchen, das sie ihr Zuhause nannte, liebte, aber langsam verstand sie, dass es nicht mehr so sicher war, wie sie einst gedacht hatte.
Kapitel fünf
Kate stellte schnell fest, dass sie Sheriff Armstrong sehr mochte. Sie war eine wohlerzogene Frau, die ihren Beruf nicht allzu ernst nahm. Als sie sich, fünfzehn Minuten nachdem sie Mary Seibert nach Hause geschickt hatten, mit Kate und DeMarco in einem kleinen Konferenzraum im hinteren Teil des Gebäudes zusammensetzte, tat sie dies wie ein gestresster Teenager. Die Frau war wahrscheinlich irgendwo zwischen fünfzig und fünfundfünfzig Jahren alt, aber der unsichere Gesichtsausdruck ließ sie viel jünger aussehen. Sie war auf einfache Art und Weise hübsch und empfing die beiden Agenten mit ihren strahlend grünen Augen.
„Wissen Sie“, sagte sie und hielt eine Tasse Kaffee in beiden Händen, während sie sich in ihrem Stuhl zurücklehnte, „ich wünschte wirklich, Sie beide hätten die Gegend aus anderen Gründen kennenlernen können. War einer von Ihnen schon mal in Estes oder sonst wo in der Gegend?“
Kate und DeMarco verneinten beide. Kate nippte an ihrer eigenen Tasse Kaffee, die Armstrong ihr angeboten hatte und ging die wenigen Fakten des Falles noch einmal im Kopf durch. Dabei studierte sie den Raum genau, da sie davon ausging, dass dieser wahrscheinlich als ihre Hauptdrehscheibe dienen würde, bis dieser Fall abgeschlossen war.
An der hinteren Wand, direkt neben einem Whiteboard, war eine große Karte des Gebietes angebracht. Die Tafel sah aus, als ob sie nicht sehr oft benutzt wurde, der belastenste Beweis hierfür stammte von einem gekritzelten Datum, das nur teilweise in der rechten oberen Ecke von vor fast einem ganzen Jahr gelöscht worden war.