d) Pflanzendecke. Wie schon mehrfach erwähnt, tragen die Vorberge und der Nordhang des Kalkgebirges ein dichtes Waldkleid, das hauptsächlich aus Buchen besteht, daneben auch aus Ulmen, Eschen, Linden, Ahorn u. a. Auch die Haselnuß ist weit verbreitet. Nadelwald fehlt vollkommen. Freilich hat sich das Bild in den vergangenen 100 Jahren sehr ungünstig verändert. Auf weiten Gebieten sind die alten schönen Wälder verschwunden. In voller Ursprünglichkeit halten sie sich nur noch am Nordhang des Kalkgebirges und auch hier nur an schlecht erreichbaren Stellen, da allerdings in teilweise wirklich herzerhebender Pracht. Die Kuppen der Vorberge tragen nur noch einen jammervoll verhackten Buschwald oder sind schon ganz kahl und unter dem Pfluge. Den Anstoß zur allmählichen Entwaldung gaben die kaukasischen Kriege. Um die Unterwerfung der Tschetschenen durchführen zu können, insbesondere um vor Überfällen sicher zu sein, schlugen die Russen kilometerbreite Schneisen kreuz und quer durch die berüchtigten Itschkerischen Wälder, in denen sie sich öfters schwere Schlappen hatten holen müssen. Der Rest verringerte sich unter dem Eigenbedarf der Bevölkerung in entsprechend gesteigertem Maße. In den letzten Jahrzehnten wirkte sich wohl besonders unheilvoll der sich ständig steigernde Holzbedarf des emporblühenden Grosny aus. Es existiert dort ein besonderer Holzmarkt, zu dem allwöchentlich viele Hunderte tschetschenischer Arben6) grünes, unreifes Holz heranschleppen. Und über die Geschäftspraxis der sogenannten Waldhüter erzählt man sich allerlei nicht gerade rühmenswertes. So sterben eben die tschetschenischen Wälder, wenn nicht bald rigorose Schutzmaßnahmen ergriffen werden.
Die obere Waldgrenze liegt ungefähr bei 1800 m, die Höhen des Kalk- und Schiefergebirges sind daher waldfrei. Kahl sind aber auch die tiefen Täler. Auch hier waren früher Wälder, wie ich von alten Leuten erfahren konnte, und ihr Verschwinden ist ausschließlich der Hand des Menschen zuzuschreiben. Etwas weiter dringt der Wald im Fortanga-Gebiet nach S vor, auch an den Oberläufen des Scharo- und Tschanti-Argun befinden sich Wälder, jedoch meist nur an den nach N exponierten Hängen. Hier findet sich auch Nadelwald und zwar ausschließlich aus Kiefern fand ich auch an wenigen Stellen im andischen Daghestan. Im höheren Gebirge tritt auch die Birke auf.
Die Höhen sind mit Almen bedeckt, die sehr frisch und kräftig werden können. Im Übergangsgebiet sieht man häufig Rhododendrengebüsch. Die obere Grenze der zusammenhängenden Grasflächen fand ich im Basch-lam ungefähr bei 3000 m. (Über die Verhältnisse in der Ssunscha-Ebene s. S. 17 f.).
e) Landschafts- und Gaugliederung. Die physiogeographische Beschreibung des Tschetschenengebietes hat bereits die Grundzüge seiner landschaftlichen Gliederung erkennen lassen. Diese einzelnen Landschaften unterscheiden sich auch recht wesentlich in anthropogeographischer Beziehung voneinander, bilden z. T. Gebiete mit kultureller Sonderstellung, so daß ich sie lieber als Gaue bezeichnen möchte. Ich gebe hier eine Übersicht über die tschetschenische Gaugliederung mit kurzer Charakteristik der einzelnen Gaue, soweit sie nicht schon gebracht wurde.
Der Name Itschkerien wurde bereits erwähnt. Man faßt darunter das Gebiet der tertiären Vorberge und des bewaldeten Nordhanges östlich des Tschanti-Argun, das besonders durch die zwischen die niedrigen Rücken eingelagerten Schotterebenen und breiten Flußterrassen gekennzeichnet ist. Ihnen verdankt es auch seinen Namen. Itschkerien ist nämlich ein Wort kumükischen d. h. türkischen Ursprungs. «Iči Jeri» heißt wörtlich «das Land da drinnen», d. h. zwischen den Bergen, das Land, das selbst innerhalb der Berge noch bequem als Ackerland benutzt werden kann. (Laudajew, Lit. Verz. 24). So sind auch hier gerade die wohlhabendsten Dörfer entstanden, wie Itschkerien überhaupt das weitaus entwickeltste Gebiet der tschetschenischen Berge darstellt. Auf einer derartigen Ebene liegt auch der Hauptort des Gebietes, das gleichzeitig auch einen besonderen politischen Verwaltungsbezirk bildet, Wedeno. Es ist lange nicht der bedeutendste Ort des Tschetschenengebietes, aber der bekannteste, und das dank der kaukasischen Kriege. Schamil, der daghestanische Freiheitskämpfer, dem ja auch die Tschetschenen teils freiwillig, teils unfreiwillig anhingen, hatte hier sein befestiges Lager, das von den Russen gestürmt werden mußte, die dann ihrerseits zur besseren Beherrschung des Gaues weiträumige Festungswerke und Kasernements schufen. Derartige alte Russenfestungen finden sich auch noch an anderen Stellen des Landes; sie fallen stets auf durch die Mächtigkeit ihrer Anlage. Ferner war Wedeno auch einmal die Hauptstadt der Tschetschenen während ihres kurzen Selbständigkeitstraumes, als ein in seiner Art genialer Tschetschene 1919 hier das sogenannte Nordkaukasische Emirat schuf, das freilich im nächsten Jahre unter den Schlägen des Bolschewistensturmes wieder verschwand. Wedeno wird auch als Sommerfrische von denen benutzt, die dem Staub und der Hitze Grosnys entgehen wollen; eine Anzahl von Datschen (Sommerhäusern) dient diesem Zweck.
Abgesehen von den Straßen- und Haufendörfern, die man auf diesen Ebenen antrifft, herrscht im übrigen Itschkerien vielfach Einzelsiedlung. Es sind durchweg schmucke, saubere Häuser mit weiß oder bunt getünchten Mauern und leuchtenden roten Ziegeldächern, die einen ungemein freundlichen, friedlichen Anblick bieten, wie überhaupt die ganze Landschaft Itschkeriens den Zug der Anmut und erquickenden Frische in sich trägt.
Die Ostgrenze Itschkeriens verläuft ungefähr auf der Wasserscheide zwischen dem Einzugsgebiet der Ssunscha und dem selbständigen in der Kumüken-Ebene endigenden Flusse Akssai. Das Gebiet von hier nach O bis zur daghestanischen Grenze, also das Gebiet der Flüsse Akssai, Jamanssu und Jarykssu, trägt den Namen Auch. Äußerlich gleicht es Itschkerien; seine besondere Stellung verdankt der Gau seinen Bewohnern, die bei den übrigen Tschetschenen und ihren daghestanischen Nachbarn in schlechtem Rufe stehen wegen ihrer Unzuverlässigkeit und Neigung zu Räubereien, eine Meinung, die ich nur bestätigen kann, da ich hier einmal tätlich angegriffen wurde. Es war das einzige Mal, solange ich überhaupt unter Tschetschenen mich aufgehalten habe.
Der Itschkerien entspreche Teil der Schwarzen Berge westlich des Argun trägt keinen besonderen Namen, hat auch lange nicht die Bedeutung wie dieses, da er von dichten Wäldern bedeckt und nur spärlich besiedelt ist. Es fehlen die weiten Schotterebenen, außerdem ist der Streifen der Vorberge viel schmaler, da das hohe Kalkgebirge hier sehr dicht an die Ebene herantritt.
Folgt man der Straße, die von der Ebene aus das Tschanti-Argun-Tal aufwärts führt und hat man die z. T. sehr enge Schlucht durchmessen, in der der Argun den vorderen Kalkgebirgzug durchsägt, so öffnet sich der Ausblick auf den weiten Talkessel von Schatoi, die tiefste Stelle der Mulde, die sich zwischen dem ersten und zweiten Kamm des Kalkgebirges erstreckt. Eine Häufung von Ortschaften erfolgt hier und weiter hinauf an den Wänden des Kessels, deren Mittelpunkt der große Ort Schatoi ist. Es ist der wichtigste Ort der tschetschenischen Berge, wenn man von Itschkerien absieht, und bildet auch geographisch ihren Mittelpunkt. Abgesehen von seiner Eigenschaft als Verwaltungszentrum dient auch Schatoi, mehr noch als Wedeno, als Sommerfrische für Grosny, mit dem es im Sommer durch einen Autobus Verbindung aufrechterhält. Von hier aus dringt auch russisches oder schlechthin modernes Wesen am stärksten in die Berge ein. Alle Einwohner verstehen Russisch, was sonst eine große Seltenheit ist. Während in den inneren Bergen nur die flachdachigen Häuser oder gar die alten Turmbauten anzutreffen sind, herrscht in Schatoi und den Nachbardörfern durchaus das ziegelgedeckte Satteldachhaus. Auch den Tschetschenen gilt es als eine Art kultureller Mittelpunkt. Außerdem ist der Menschenschlag hier sehr schön und stattlich; besonders die Schönheit der Schatoier Mädchen wird viel gerühmt und nicht mit Unrecht (Abb. 1).