»Oh Gott«, sagte Megan und ihre Augen weiteten sich. »Bist du Er? Bist du « sie schluckte »Gott?«
Raphael blickte herab auf das halbnackte Mädchen. Seine Augen wurden sanft. »Wie ist dein Name, mein Kind?«
»Megan.« Glasige Augen sahen ihn ehrfürchtig an.
Lash machte einen Schritt nach vorn. »Raphael, du hast kein «
»Ich weiß, was du sagen willst. Und du irrst dich. I habe sehr wohl das Recht, hier zu sein.« Raphaels Lippen pressten sich zu einer dünnen Linie zusammen, als er zwischen Lashs Flügeln und Megans schockiertem Gesicht hin- und hersah. »Du hättest dich vor ihr nicht so zeigen sollen. Es wird nur eine Belastung für das arme Mädchen sein.«
»Oh, ich habe Teile von mir gezeigt, von den du nicht einmal träumen könntest.« Lash zog den Reißverschluss seiner Jeans hoch und grinste.
»Was ist mit dir passiert?« Raphael trat einen Schritt nach vorn und sein Gesichtsausdruck wechselte von wütend zu besorgt. »Du hast noch nie mit solcher Verachtung zu mir gesprochen.«
»Fünfunddreißig Jahre sind passiert! Was hast du denn erwartet?« Lash faltete seine Schwingen in seinen Körper und griff nach seinem Hemd. »Sie wird wahrscheinlich denken, es ist ein Teil ihres Trips.« Um ihretwillen hoffte er, dass sie sich an nichts erinnern würde. Raphael hatte Recht er hätte sie nie hierher bringen sollen. Er hatte allerdings nicht vor, das ihm gegenüber zuzugeben. Gabrielle mochte diejenige gewesen sein, die seinen Rauswurf veranlasst hatte, aber bis jetzt hatte er nichts von seinem sogenannten Freund gehört.
Raphael schüttelte den Kopf und wandte sich mit mitleidigem Blick Megan zu. »Komm her, mein Kind.«
Megan stolperte auf Raphael zu und war kurz davor, zu Boden zu stürzen, als er sie auffing. Er hob ihren Kopf und musterte sie aufmerksam. »Weißt du, wer ich bin?«
»Gott?«, flüsterte sie.
»Ich bin Raphael, Erzengel des Heilens, des Mitleids und der Liebe. Du hast deinen Körper entweiht, um den Schmerz zu lindern, der tief in deiner Seele wütet. Er weiß, wonach dein Herz sich sehnt. Du musst nur darum bitten, dann wird es dir gewährt.«
Sie zwinkerte verwirrt. »Wer ist Er?«
»Er ist unter vielen verschiedenen Namen bekannt: Gott, Herr, Allah, Jahwe sie sind alle ein und derselbe. Wisse dies: Er liebt dich.«
»Worum soll ich bitten?«
»Um was immer du wünschst.« Raphael streichelte sanft ihr Gesicht.
Sie blickte in Raphaels Augen und ihr Gesicht verzerrte sich. Sie ließ sich auf die Knie fallen und schlang ihre Arme um seine Beine. »Mach, dass es weggeht, bitte. Ich will den Schmerz nicht mehr fühlen.«
Raphael hockte sich auf den Boden und nahm Megans Hände in seine eigenen. »Der Mann, der sich dein Vater nennt, wird dir nicht länger weh tun. Du bist kein Sexobjekt oder die persönliche Sexsklavin, zu der er dich gemacht hat. Du bist ein Kind Gottes, und mit Vertrauen in Ihn wirst du Frieden finden.«
Es tat Lash im Herzen weh, als er sah, wie ihr Tränen über die Wangen liefen, und wieder nagten Schuldgefühle an ihm. Sie war nicht die erste Frau, die er benutzt hatte. Es war leicht, von einem Mädchen zum nächsten zu ziehen; es war nur Sex. Sie waren zufrieden er war zufrieden. Was war schlimm daran? So lange er sich auf One-Night-Stands beschränkte und sie nicht näher kennenlernte, war er in der Lage, die Mauer, die er um sich selbst errichtet hatte, aufrecht zu erhalten. Aber tief im Innern hatte er gewusst, dass das, was er tat, egoistisch und falsch war.
Raphael fasste nach ihrem Arm und fuhr mit seiner Hand über die frischen Nadelstiche. Megan stöhnte, als ein Kräuseln die Länge ihres Arms hinauffuhr wie ein Wurm, der unter ihrer Haut gefangen war. Die Bewegung kam an der kleinen Einstichstelle zum Stillstand, wo sie sich die Injektion gesetzt hatte, und eine weiße, gel-artige Substanz quoll hervor.
Megans Augen weiteten sich und sie schauderte, als das weiße Gel auf den Fußboden tropfte. Als es vorüber war, sah sie zu Raphael. Ihre Augen waren klar und wach. »Danke.«
»Gehe nun und sündige nicht mehr.«
Megan küsste seine Hände. Eilig zog sie sich ihre Jeans an, griff nach ihrer Handtasche und warf deren Inhalt und ihr Drogenbesteck hinein. Als sie zur Tür ging, begegneten ihre Augen denen Raphaels und ihre Wangen röteten sich vor Scham.
Raphael berührte leicht ihre Wange. »Denke daran, was einmal war, ist nicht mehr.«
Sie begann zu lächeln. Mit einem Blick hinunter auf ihre Handtasche, drehte sie sich um und warf sie in den Mülleimer, bevor sie mit erhobenem Kopf hinausging.
Lash ging zum Mülleimer und durchsuchte die Tasche, um ein Feuerzeug und einen Joint herauszuholen. Er funkelte Raphael an und forderte ihn stumm heraus, einzugreifen, als er ihn anzündete und einen Zug nahm.
»Lahash, du kannst mir nicht weißmachen, dass dieses dieses Zeug bei dir tatsächlich wirkt«, tadelte Raphael. »Unsere Körper reagieren nicht so auf Fremdsubstanzen, wie menschliche Körper es tun.«
»Nein«, antwortete er und hielt einen Moment lang den Atem an, um dann langsam den Rauch auszustoßen. »Ich fühle gar nichts.«
Raphael verzog das Gesicht. Lash war kurz davor, einen weiteren Zug zu nehmen, als mit einem Wedeln von Raphaels Hand der Rauch verschwand und sich der Joint in Asche verwandelte. »Erkläre mir doch bitte, warum du dir dann die Mühe machst, deinen Körper damit zu beschmutzen?«
»Weil es dich zur Weißglut treibt.« Er lächelte spöttisch.
Raphaels Augen wurden kalt. Er packte Lash am Hals und warf ihn gegen die Wand. Er kam ganz nah heran, sein Gesicht weniger als zwei Zentimeter von Lashs entfernt. »Es ist genau diese Einstellung, die dich aus dem Himmel verbannt hat.«
»Einen Scheiß war es das.« Lash kämpfte gegen ihn an. »Diese Schlampe Gabrielle ist Schuld. Sie hätte mich nicht anschwärzen müssen.«
»Nein, Lahash. Du warst es. Du warst es ganz allein.« Raphaels Gesicht rötete sich, während er Lash so stark gegen die Wand presste, dass dabei Risse in ihr entstanden. »Du hast in ihre Aufgabe eingegriffen und ihre Autorität als Erzengel in Frage gestellt. Alle Missionen werden aus einem Grund erteilt und sollten entsprechend ausgeführt werden. Das Mädchen hätte den Unfall nicht überleben sollen.«
»Gabrielle« er spuckte ihren Namen aus, als hätte er einen bitteren Geschmack »hat auf eine Gelegenheit gewartet, mich rauswerfen zu lassen. Sie hasst mich.«
»Das ist nicht wahr.«
Sein Blick verfinsterte sich. »Das tut sie. Du bist nur zu blind, es zu sehen.«
Raphael schloss seine Augen und atmete tief ein. Seine Wut half Lash nicht, zur Vernunft zu kommen; sie tat genau das Gegenteil.
»Ich weiß, dass ihr beide nicht im besten Einvernehmen steht.«
»Das ist eine Untertreibung«, murmelte Lash.
Raphael beachtete ihn nicht und fuhr fort. »Ihr liegt das Wohl aller am Herzen, auch deines. Davon bin ich überzeugt.« Er lockerte seinen Griff und trat beiseite. »Du warst leichtsinnig, diejenigen um dich herum nicht zu beachten. Ich verstehe diese Art deines Verhaltens nicht.«
Lash seufzte und setzte sich auf die Kannte des Bettes. »Ich sehe den Sinn darin nicht. Wieso geben wir uns überhaupt mit dem, was wir tun, ab? Die Menschen werden sowieso machen, was sie wollen. Wie Megan. Sie wird wahrscheinlich innerhalb einer Stunde wieder high sein.«
»Genau das ist dein Problem, Lahash. Du hast den Glauben verloren.«
»Den Glauben?« Lash schnappte sich die Fernbedienung vom Nachttisch und schaltete den Fernseher ein. Er zappte durch die verschiedenen Kanäle und hielt zwischen jedem Knopfdruck einen Moment lang inne. Er spannte de Unterkiefer an, als er düster auf jedes Bild sah, das über den Bildschirm flackerte: blutüberströmte Männer, Leichen auf einer Schotterstraße und in Schwarz gewandete Frauen, die vor Schmerz und Trauer weinten; ein zerstörtes Gebäude mit Rauch und Asche in der Luft, Frauen und Kinder, die aus ihm hinausliefen, aschebedeckt; ein dunkelhäutiger kleiner Junge, nicht älter als vier Jahre, gekleidet in schlammverschmierte Shorts, mit vor Hunger geschwollenem Bauch und leerem Gesichtsausdruck, der allein am Rande einer Straße stand.