Sie rannte barfuà in den Garten, einen Gedankenpfeil schon im Bogen angelegt. Als sie versuchte, ihr Ziel auszumachen erschrak sie, als sie erkannte, dass da nicht ein Beschützer war, sondern zwei. Das lieà sie mitten im Schritt ruckartig anhalten.
âShinbeâ, flüsterte Kyoko als sie zusah, wie er gegen die AuÃenwand des Schreinhauses krachte. Sie hatte beinahe das Gefühl, dass sie den Stoà genauso fühlen konnte wie er, nur dass er bei ihr eine tiefe Delle in ihrem Herzen hinterlieÃ. Aus dem Augenwinkel nahm sie eine Bewegung von der Seite wahr und richtete ihre grünen Augen dorthin. Es war Toya, und er war gerade dabei, Shinbe noch einmal anzugreifen.
Sie warf ihren Bogen weg und hob ihre Hand um den Zähmungszauber anzuwenden, der nur an dem silbernen Beschützer funktionierte.
âToya! Nein!â, schrie Kyoko.
Toya war gerade mitten im Sprung als er plötzlich wie ein Ziegelhaufen abstürzte, sein Gesicht im harten Boden vergraben.
Kyoko rannte zu Shinbe und rutschte in ihrer Eile auf dem Gras aus. Sie fiel neben ihm auf die Knie, ihre Lippen öffneten sich, wissend, dass es schlecht um ihn stand. âShinbe, alles in Ordnung?â
Shinbe öffnete mühsam ein Auge und schielte hinüber zu Toya. âDas muss wehtun.â Er versuchte zu grinsen, aber wurde bewusstlos, ehe er es zuwege brachte.
Toya sah aus seiner ungemütlichen Position zu Kyoko hoch und knurrte darüber, wie ihre Lippe zitterte. Wie konnte sie es wagen, sich auf die Seite des Lustmolches zu stellen, nach dem, was Shinbe gesagt hatte?
Kyoko wandte sich ihm zu, Tränen in den Augen. âWas hast du getan?â
Er hatte keine Möglichkeit zu antworten als ihr Bruder und GroÃvater in den Garten gerannt kamen. GroÃvater mit seinen Dämonenzaubern in der Hand, bereit alles zu zerstören, was es wagte, seine Enkelin zu verletzen.
Kyoko begann zu schluchzen und wusste nicht, was sie tun sollte. âHelft mir, Shinbe ins Haus zu bringen.â
Tama und GroÃvater stellten keine Fragen sondern hoben Shinbe hoch um ihn ins Haus zu tragen. Opa sah Toya nur aus zusammengezogenen Augen an während Tama ihn überhaupt keines Blickes würdigte. Sie gingen weg und lieÃen Toya am Boden liegend zurück.
Toya machte sich nicht die Mühe, sich zu bewegen. Er wusste, dass Kyoko so wütend war, dass sie wahrscheinlich diesen verdammten Zauber wieder und wieder anwenden würde, wenn er es wagen sollte, das Haus zu betreten. Es war nicht fair. Verstand sie nicht, dass er sie nur beschützte?
Das Licht des Mondes wurde von den silbernen Strähnen in seinem dunklen Haar reflektiert als er sich mit schwerem Herzen umdrehte. Er drückte sich vom Boden hoch und ging zurück durch das Herz der Zeit.
*****
Als die Sonne über dem Jungfernschrein aufging war Toya noch immer dort und ging auf und ab während er sich fragte, was zur Hölle passiert war. Wie konnte Shinbe plötzlich durch das Herz der Zeit? Es war einfach nicht erlaubt. Die Frage ging ihm wieder und wieder durch den Kopf und machte ihn verrückt.
Suki kam mit Kamui und Kaen auf die Lichtung, auf der Suche nach Toya und Shinbe. Sie sah Toya und winkte ihm.
'Verdammt, gerade was ich jetzt brauche', fluchte Toya innerlich als er zusah, wie Suki näher kam. Sie blieb stehen und starrte ihn einen langen Moment an, ehe sie sprach und der besorgte Blick in ihren Augen traf ihn unvorbereitet.
âToya, ist alles in Ordnung? Was ist passiert?â Sie streckte eine Hand nach seinem Gesicht aus und er zuckte zusammen. Sie starrte auf die sich heilenden Wunden, die sein Gesicht schmückten und das trockene Blut auf seinen Kleidern und Händen. Sie sah wieder auf seine Hände. Toya lieà Blut nie auf diese Art an seinen Fingern trocknen. Was ging hier vor?
âToya, wessen Blut ist das?â Als er nicht antwortete, sondern das Gesicht von ihr wegdrehte, sah sie sich nach Shinbe um, denn sie wusste, er würde ihr erzählen, was los war. Nachdem sie ihn nicht sah, wurden ihre Augen groà und Panik war in ihrer Stimme hörbar: âWo ist Shinbe?â
Kamui war mit Kaen am Rand der Lichtung gestanden, als er Toyas Aufregung fühlte und die Entfernung zwischen ihnen schnell überbrückte. Er hatte die Frage gehört und er betete, dass er sich bei der Antwort täuschte. In der Hoffnung, die beiden zu beruhigen, versuchte er, einen Scherz zu machen, indem er fragte: âToya, erzähl mir nicht, dass du Shinbe umgebracht hast?â
Toya fletschte die Zähne: âIch habe niemanden umgebracht, du kleiner Zwerg, also halt's Maul!â Er drehte sich von den anderen weg und sah hinunter auf seine blutigen Fingernägel⦠er hatte sie noch nicht einmal bemerkt.
'Habe ich?', fragte Toya sich selbst. Dieser letzte Schlag, den er Shinbe verpasst hatte, musste doch einen ernsten Schaden angerichtet haben. Er erinnerte sich daran, wie sich seine Klauen in das Fleisch an Shinbes Seite gegraben hatten, als er ihn in den Baum geworfen hatte. Toya wusste, dass seine Klauen tödlich sein konnten, wenn sie im Kampf länger wurden⦠nicht nur für Dämonen, sondern für alle Unsterblichen, auch Beschützer.
Er hätte nicht mit seinem Bruder kämpfen sollen, aber er war so rasend gewesen vor Wut, dass er sich nicht zurückhalten hatte können. Wieso hatte er seine Beherrschung so verloren, wenn er doch wusste, dass dann die Gefahr bestand, dass sein Dämonenblut wieder an die Oberfläche kam? Er hatte normalerweise mehr Kontrolle über sich selbst. Verdammt. Wenn Kyoko nicht im rechten Moment herausgekommen wäre, wusste er nicht, was er ihm angetan hätte. Er hatte noch nie mit Shinbe gekämpft⦠was zur Hölle ging hier vor sich?
Das panische Gefühl überkam ihn wieder als er die Augen von Suki und Kamui in seinem Rücken fühlte. Shinbe war sein Bruder⦠ein Beschützer. Was hatte er getan? Ohne sie anzusehen ballte Toya seine Hände zu Fäusten und rief plötzlich: âIch habe nichts getan!â Damit rannte er über die Lichtung davon in den Wald, er musste alleine sein.
Kaen und Kamui sahen einander an und teilten dasselbe Unheil verkündende Gefühl.
*****
Kyoko saà an ihrem Schreibtisch, Nadel und Faden in der Hand. Sie hatte beschlossen, Shinbes Mantel zu flicken, nachdem er an einigen Stellen zerrissen war. Sie musste sich selbst beschäftigen, denn nachdem Toya weg war und Shinbe bewusstlos⦠konnte sie niemanden fragen, was zum Teufel geschehen war. Sie hatte das Gefühl, dass es ihre Schuld war, dass sie kämpften.
âEs war doch nur ein dummer Kussâ, murmelte sie beschämt.
Nachdem ihr GroÃvater Shinbes Kleider ausgezogen hatte, hatte sie sie genommen und das Blut herausgewaschen, während Tama seinem GroÃvater half, die Wunden zu versorgen, die schon zu heilen begonnen hatten. Wenn Shinbe nicht ein Beschützer gewesen wäre und den zusätzlichen Vorteil hätte, dass er schnell heilte, wäre er innerhalb von Minuten verblutet. Als sie auf einen der Risse in dem Stoff blickte, stellte sie sich Toyas Klauen dort vor, und zitterte.
Er sah ziemlich schlecht aus, aber der Schlag, den sein Kopf abbekommen hatte, war das Schlimmste. Ihr GroÃvater sagte, dass er davon wohl eine Weile schlafen würde. Er hatte sie auch darüber informiert, dass, wenn zwei Beschützer miteinander kämpfen, es ein wenig gefährlicher war, als wenn zwei Menschen sich miteinander anlegten. Opa und seine Legenden⦠sie brauchte keine Legende um zu wissen, dass dies schlecht aussah. Sie hoffte nur, dass Shinbe keinen Gehirnschaden davontragen würde. Dass er so lange bewusstlos war, war kein gutes Zeichen. Sie betete, dass er bald aufwachen und ihr sagen würde, dass alles in Ordnung war.