Shinbe stand mit dem Rücken zur Hütte, ein leises Grinsen auf seinem Gesicht. Er hatte gehört, was Kyoko gesagt hatte, und sein Grinsen war noch breiter geworden, als er hörte, wie Toya zu Boden ging. Kyoko hatte ihn gar nicht gesehen, als sie herausgekommen war, also folgte er ihr, als sie durch den Wald marschierte.
Kapitel 4 "Geh nicht"
Als sie in den Garten des Herzens der Zeit kam, setzte sich Kyoko langsam ins Gras vor der Jungfernstatue und sah hoch in das Gesicht der Jungfer. Sie konzentrierte sich auf das Gesicht, von dem sie wusste, dass es ihr Spiegelbild war. Das Bild gehörte zu ihrer Vorgängerin zu deren Ehren die Statue angefertigt worden war. Hätten sie gleichzeitig gelebt, sie hätten Zwillinge sein können.
Kyoko verdrängte den Gedanken aus ihrem Kopf und erinnerte sich daran, weshalb sie nun überhaupt hier im Gras saÃ. Ihre Gedanken begannen, miteinander zu streiten als wäre sie nicht einmal da um zuzuhören.
'Toya ist so ein Idiot!' Sie war eben erst zurückgekommen, und 'alles, was er machte, war, sie anzuschreien'. Manchmal⦠'hasse ich ihn richtig⦠gut, das war vielleicht gelogen.' Kyoko seufzte: 'Ich kann mich nicht selbst anlügen. Ich liebe Toya und wenn niemand in der Nähe ist, um es zu sehen⦠beweist er oft, dass er auch mich liebt.' Kyoko zog ihre Augenbrauen gedankenverloren zusammen. âAber dann zerstört er alles wieder.â
Sie würde nach Hause gehen und vielleicht nie mehr zurückkommen. Sie sprang auf, mit dem festen Vorhaben, ihre Hände in die Hände der Jungfer zu legen, wissend, dass sie sie nach Hause bringen würde.
'Aber dann würdest du Shinbe nie mehr sehen.' Ihre Augen wurden groà und ihre Gedanken schrien: 'Du hast doch Gefühle für ihn!'⦠'Das ist bescheuert', entgegnete sie sich selbst, 'ich habe nur die Gefühle, die aus dem Traum mit ihm übrig geblieben sind, das bedeutet doch nichts.' Sie entfernte sich wieder von der Statue, senkte ihre Hand zögerlich und setzte sich wieder hin, den Rücken an den kalten Stein gelehnt.
'Aber was ist, wenn er auch Gefühle für dich hat? Wäre der Kuss weiter gegangen, hätte er dich zurück geküsst?' 'Wer hatte noch einmal wen geküsst?' 'Aber er ist ein Schürzenjäger⦠er würde jede Frau küssen.' 'Und er hat dich gegen Toya verteidigt.' 'Nur weil er sich bedroht fühlte, auÃerdem ist Shinbe einfach so.' Eine tiefe Stimme lieà sie aus ihrem Gedanken-Chaos hochschrecken.
âKyokoâ, rief Shinbes heisere Stimme sie. Kyokos Kopf hob sich ruckartig und sie errötete als hätte er ihre Gedanken gelesen.
âÃh, halloâ, sagte sie und schaute weg in der Hoffnung, dass er die Schamesröte nicht sehen würde.
âGehst du nach Hause?â Er machte ein paar langsame Schritte während er sprach. âIch kann es dir nicht wirklich übel nehmen nach dem, wie Toya dich behandelt hat.â Shinbe kniete sich vor sie hin und streckte seine Hand aus um ihr hoch zu helfen. Sie ergriff die angebotene Hand und stand auf, klopfte sich den Staub von ihrem Rock.
âManchmal halte ich es einfach nicht in seiner Gegenwart aus, Shinbe⦠ich⦠es tut mir wirklich leid, all die Probleme, die ich dir bereitet habe.â Sie machte einen Schritt auf den Schrein zu.
Shinbe wollte nicht, dass Kyoko ging, aber er wusste, dass er sie nicht aufhalten können würde, wenn sie sich entschieden hatte. Er wusste sehr gut, wie sehr sie es hasste, wenn Toya von ihr verlangte, dass sie bleiben sollte und er wollte nicht, dass sie ihm aus dem gleichen Grund grollte. Aber in Wahrheit fühlte er wie Toya⦠er wollte nicht, dass sie ging.
Seine wahren Gefühle verbergend versuchte er, sie aufzumuntern. âEs ist in Ordnung, Kyoko. Du kannst mir jederzeit Probleme besorgenâ, grinste er und tat so, als würde er langsam die Hand nach ihr ausstrecken.
Kyoko übersah die Hand nicht, die sich langsam auf sie zu bewegte. Sie kicherte und warf ihm ein Lächeln zu. Dann war sie weg.
Shinbe stand da und starrte auf die Statue als sein Lächeln verblasste. Er wollte ihr sagen, dass sie nicht gehen sollte. Er hatte nicht vorgehabt, sie zu begrapschen⦠naja, vielleicht ein wenig. Er hatte es getan, damit sie beruhigt gehen konnte, wissend, dass sich zwischen ihnen nichts verändert hatte. Er hatte fühlen können, dass sie böse war, und er wollte sie lächeln sehen, oder zumindest andere Gefühle zeigen als Wut und Trauer. Sein Plan hatte besser funktioniert als erwartet, als sie ihn angelacht hatte.
Shinbes unruhiger violetter Blick riss sich von dem Jungfernschrein los. Er hasste die Fähigkeit des Zeitportals, sie von ihm weg zu nehmen und wünschte sich, dass er ihr in ihre Welt folgen könnte⦠nur einmal. Seine Augen wurden attraktiv dunkler, dann verengten sie sich bei dem eifersüchtigen Gedanken, dass Toya ihr durch das Herz der Zeit folgen konnte. Wieso hatte das Zeitportal den silbernen Beschützer gewählt, und nur ihn? Es war einfach nicht fair. Toya war nicht ihr einziger Beschützer.
*****
Als Kyoko wieder auf der anderen Seite des Jungfernschreins angekommen war, legte sie sich im Schutz des Schreinhauses hin und bettete ihren Kopf auf ihren Rucksack, schloss ihre Augen. Sie wollte gerade einfach niemanden sehen.
Gedanken von Shinbe, der mit ihr schlief, schlichen sich wieder in ihren Kopf. Wieso musste sie so von ihm träumen? Dadurch wünschte sie nur⦠'Was denke ich da?', fragte sie sich selbst. Sie musste aufhören, daran zu denken.
Shinbe und Suki mochten einander eindeutig, auch wenn sie es nicht zugeben würden. AuÃerdem machte er mit allen Frauen rum. Shinbe war einfach so.
Kyoko stand langsam auf und verlieà das Schreinhäuschen, das die Jungfernstatue schützte. 'Ich werde einfach in mein Zimmer gehen und lernen. Ja, dann werde ich morgen auf die Uni gehen und alles wird gut sein. Vielleicht werde ich sogar meine Freunde anrufen und kurz mit ihnen ausgehen.' Kyoko blieb ruckartig stehen und verdrehte die Augen als sie laut dachte: âNeue Regel: keine Früchte essen bei meinen Freunden.â
*****
Toya kämpfte noch immer gegen seine Eifersucht an, als er langsam zu dem Schrein ging. Er hatte fest vor, Kyoko zu folgen und die Sache auszubügeln. Er konnte den Gedanken nicht aushalten, dass sie sauer auf ihn war.
Seine Sinne klingelten und er wusste, dass er nicht alleine war. Er sah hoch und erkannte Shinbe, der an eines der Felstrümmer gelehnt saÃ, die von dem vergessenen Schloss, das hier gestanden hatte, übrig waren. Seine Hände waren ordentlich in seinem Mantel versteckt und sein Stab lag über seinem SchoÃ. Er hatte seinen Kopf zurückgelehnt und seine Augen waren geschlossen als würde er schlafen.
âWach auf, du dummer Lustmolch!â, schrie Toya ihn an, jetzt noch wütender als davor.
Shinbe öffnete ein verschlafenes Auge und schloss es dann wieder. âWas willst du, Toya?â
Toya kochte: âWas will ich? Ich will wissen, wozu zum Teufel, du hier sitzt?â
Shinbe öffnete seine Augen und hob fragend eine Augenbraue in Richtung seines Bruders: âDarf ich mich nicht ausruhen?â
Toya starrte ihn böse an: âSeit wann kommst du zum Herzen der Zeit um zu ruhen?â
Shinbe stand langsam auf und machte sich bereit, nur für den Fall. Er wusste, dass Toya ein ganzes Stück stärker war. Aber er wusste auch, dass er nicht so schwach war, wie Toya meinte. Ihre Kräfte waren einfach unterschiedlich.