So war es Bolitho als Midshipman vorgekommen, auch noch als jungem Leutnant: Ein Kommandant mußte ein gottähnliches Wesen sein. Er lebte unerreichbar in seiner Heck-Kajüte, und vor seinem Stirnrunzeln zitterte jeder gewöhnliche Offizier oder Matrose.
Aber jetzt wußte Bolitho es besser, genau wie Herrick. Je größer die Verantwortung, um so größer zwar die Ehre. Aber wenn etwas schiefging, dann fiel man um so tiefer, je höher man stand.
Allday kam herein, sich die großen Hände reibend. Auf seinem blauen Jackett glänzten Tropfen von Sprühwasser, und die Erregung leuchtete ihm aus den Augen. Bolitho spürte es auch selbst:
Endlich ließen sie das Land hinter sich wie ein Jäger, der aufbricht, sich mit dem Unbekannten zu messen, weil er muß, der aber nie weiß, ob es nicht das letzte Mal ist.
«Die Mannschaft arbeitet ganz gut, Sir«, grinste der Bootsführer.»Ich war eben oben und habe Ihre Gig kontrolliert. Ganz nette Brise aus Nordwest. Großartig werden wir aussehen, wenn das Geschwader erst vom Felsen klarkommt.»
Nervös fuhr Bolitho zusammen und horchte mit schiefem Kopf: ein Rasseln oben an Deck, etwas schleifte über die Planken, und eine grobe Stimme brüllte:»Beleg die Leine da, du Saukerl!»
Er biß sich auf die Lippen. Da ging doch alles mögliche schief!
Allday musterte ihn nachdenklich.»Captain Herrick kommt schon klar, Sir.»
«Weiß ich. «Bolitho nickte, als wolle er seine Überzeugung besiegeln.»Das weiß ich doch.«»Auf ihn können Sie sich verlassen.»
Allday nahm den Degen von der Schottwand und wartete darauf, daß Bolitho die Arme hob, damit er ihm das Koppel umschnallen konnte.»Immer noch der alte«, sagte er leise und berührte den abgewetzten Griff.»Wir sind schon einige Meilen zusammen gesegelt.»
«Aye«, stimmte Bolitho ernst zu und ließ die Finger über die Parierstange gleiten.»Ich glaube, der macht's noch länger als wir beide.»
Allday grinste übers ganze Gesicht.»So ist's schon besser, Sir! Jetzt reden Sie wieder, wie es sich für einen Flaggoffizier gehört.»
Lautlos ging die Tür auf, und Herrick, Hut unterm Arm, trat ein.»Geschwader klar zum Ankerlichten, Sir. «Er sprach ganz gelassen.»Alle Anker sind kurzstag gehievt.»
«Danke, Captain Herrick«, antwortete Bolitho in dienstlichem Ton.»Ich komme gleich an Deck.»
Herrick eilte wieder hinaus; man hörte ihn die Leiter zur Kam-panje über der Achterkajüte hinaufsteigen. Er mußte den Schiffsverkehr in der Straße von Gibraltar in Betracht ziehen, der jedoch Gott sei Dank spärlich war; auch die Windstärke und die nahen Untiefen. Herrick mußte sich auch darüber klar sein, daß er an diesem Vormittag noch von anderen Augen als von Bolithos beobachtet wurde. Die Kommandanten, die am Vorabend beim Dinner so gelöst und kameradschaftlich getan hatten, würden seine Seemannschaft, den Ausbildungsstand der Lysander, die Schnelligkeit ihres Auslaufens sehr kritisch beurteilen. Auch auf den zur Garnison gehörigen Schiffen, sogar von der Festung im feindlichen Alge-ciras aus würden Teleskope auf die Lysander gerichtet
sein.
«Wir wollen gehen, Allday«, sagte Bolitho gelassen.
Unter dem Skylight blieb Allday stehen und deutete nach oben.»Sehen Sie mal, Sir.»
Bolitho starrte hinauf in das schwarze Gewirr der Wanten, auf den himmelhohen Großmast dahinter, in dessen Topp der Kommodorestander peitschend auswehte.
«Ja, ich sehe ihn.»
Allday musterte Bolitho ernst und eingehend.»Der gehört Ihnen von rechtswegen, Sir. Mancher, der ihn dieser Tage sieht, möchte ihn runterholen, wenn er könnte. Aber solange er weht, werden sie Ihnen gehorchen. Also machen Sie sich keine Sorgen, überlassen Sie die anderen. Sie haben Besseres zu tun.»
Bolitho sah Allday überrascht an.»Admiral Beauchamp hat mir etwa dasselbe gesagt, wenn auch nicht mit den gleichen Worten. «Er schlug Allday auf den Arm.»Danke.»
Als er unter der Kampanje heraustrat und am großen Doppelrad vorbeikam, war er sich durchaus darüber klar, daß ihn alle in Sichtweite genau beobachteten. Draußen, vom Achterdeck aus, wo der Wind Gischtfetzen über Netze und Laufbrücken wehte, sah er, daß sich die Matrosen bereits an den Brassen und Fallen drängten; dahinter standen die Marine-Infanteristen in ihren scharlachroten Röcken, um die Matrosen zu unterstützen, wenn es so weit war.
«Achterdeck Achtung!»
Das war Gilchrist, der Erste Offizier, Herricks rechte Hand. Lang und dürr, die Stirn ständig in Falten, sah er aus wie ein mißgelaunter Schulmeister. Hinter ihm standen einige Leutnants, der Mids-hipman der Wache und allerlei namenloses Schiffsvolk.
Bolitho tippte grüßend an seinen Hut, was dem Achterdeck im allgemeinen galt, und verglich, eigentlich gegen seine Absicht, das, was er sah, mit dem, was ihm als Kommandant selbst vertraut und lieb geworden war. Er hätte sich so schnell wie möglich Gesicht und Namen jedes einzelnen Offiziers eingeprägt und sich diesen Ersten Offizier besonders genau angesehen. Er warf einen raschen Blick auf Herricks untersetzte Gestalt an der Reling ob auch er wohl jetzt Vergleiche anstellte?
Dicht neben sich hörte er eine rauhe Stimme:»Wunderschöner Tag, Sir, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf.»