Dem Midshipman der Wache mußte schon der Arm weh tun. Er hatte, seit Herrick an Deck war, ausdrücklichen Befehl, ständig das schwere Teleskop am Auge zu halten, um es sofort melden zu können, wenn das Boot des Kommodore von der Mole ablegte.
Herrick sah zu den anderen Schiffen hinüber. Bis jetzt hatte er wenig mit ihren Kommandanten zu tun gehabt, doch wußte er bereits eine ganze Menge über sie. Von der kleinen Schaluppe, die im heftigen Wind so ungemütlich dümpelte, daß sich der Kupferbeschlag ihres Unterwasserschiffs in regelmäßigen Abständen aus dem Wasser hob, bis zum äußersten Zweidecker, Osiris, bestanden zwischen den Kommandanten die verschiedensten Verbindungen. Der Kommandant der Nicator zum Beispiel: Herrick hatte herausbekommen, daß er während der amerikanischen Revolution zusammen mit Bolitho als Leutnant auf demselben Schiff gedient hatte. Daß sie jetzt wieder zusammentrafen, mochte sich günstig auswirken oder auch nicht. Der Kommandant der Harebell, Kapitän Inch, hatte seinerzeit beim alten Geschwader ein Granatwerferschiff befehligt. Den Kommandaten der Buzzard, Raymond Javal, kannte Herrick nur vom Hörensagen: er galt als unbeherrscht und gierig nach Prisengeld. Ein typischer, wenn auch etwas problematischer Fregattenkapitän.
Wieder blieb Herricks Blick auf der Osiris haften; er versuchte, seine Verärgerung zu unterdrücken. Sie war fast ein Schwesterschiff der Lysander und wurde befehligt von Kapitän Charles Far-quhar, einem alten Bekannten. Das Schicksal hatte sie wieder zusammengeführt, und zwar abermals unter dem Kommando von Richard Bolitho. Damals war es auf der Fregatte Phalarope gewesen, während des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges. Bolitho war Kommandant gewesen, Herrick Erster Offizier und Farquhar Midshipman. Ständig hatte sich Herrick über den aus vornehmer Familie stammenden, arroganten Farquhar geärgert. Wenn er jetzt die Osiris ansah, ging es ihm nicht viel anders. Das reiche Schnitzwerk an Kampanje und Bug war mit echter Goldfarbe bemalt, ein äußeres Zeichen für den hohen gesellschaftlichen und finanziellen Status ihres Kommandanten. Bis jetzt hatte Herrick ein Zusammentreffen vermeiden können, abgesehen von Farquhars Meldung, als er in Gibraltar zum Geschwader stieß. Doch schon bei dieser Gelegenheit welkten Herricks beste Vorsätze, als Farquhar näselte:»Hören Sie mal, viel Geld haben Sie wohl nicht in Ihren alten Kasten gesteckt, eh?«Wieder dieses irritierende Lächeln.»Das wird aber unserem Herrn und Meister nicht gefallen, wissen Sie.»
Plötzlich öffnete sich die unterste Reihe der Stückpforten in der abgeschrägten Bordwand der Osiris, und die schwarzen Rohre der Zweiunddreißigpfünder
glitten gleichzeitig in das schwächliche Sonnenlicht. Präzise wie stets.
Herrick bekam einen Schreck. Farquhar ließ sich den ehrgeizigen Kopf nie von dummen Erinnerungen oder Abneigungen vernebeln. Er scherte sich nur um das, was ihm gerade am wichtigsten war, und jetzt hieß das: einen guten Eindruck beim Kommodore zu machen. Nur war dieser Kommodore ausgerechnet Richard Bolitho, ein Mann, der Herrick teurer war als jeder andere lebende Mensch. Farquhar jedoch hätte sich auch vom Teufel persönlich nicht aus der Ruhe bringen lassen. Zu allem Unglück erklang erst jetzt die Stimme des Midshipman der Wache:»Boot legt von der Mole ab, Sir!»
Herrick leckte sich die Lippen. Sie waren trocken wie Asche.»Schön, Mr. Saxby. Mein Kompliment an den Ersten Offizier, und er kann jetzt zur Begrüßung antreten lassen.»
Richard Bolitho schritt zum Heckfenster seiner geräumigen Tageskajüte und sah zu den anderen Schiffen hinüber. So folgenreich das Ereignis auch war, daß er zum erstenmal an Bord seines eigenen Flaggschiffs feierlich empfangen worden war er konnte seinen Übermut kaum zügeln. Wie Wein und Gelächter sprudelte es in ihm, und nur mit letzter Kraft wahrte er die Form.
Er wandte sich um: da stand Herrick neben der Tür und sah ihn an. Ein paar Matrosen stellten sorgfältig allerlei Kästen und Kisten auf, die aus dem Boot an Bord gehievt worden waren; irgendwo schimpfte Allday, sein Bootsführer, mit jemandem, der nicht aufgepaßt hatte.
«Danke, Thomas, das war ein schöner Empfang.»
Bolitho schritt über die schwarz-weißen Karos des Fußbodenbelags auf Herrick zu und ergriff dessen Hand. Oben hörte er das Getrampel der abrückenden Marine-Infanterie und die sonstigen wohlbekannten Geräusche des Borddienstes.
Herrick lächelte verlegen und deutete auf das Gepäck.»Danke, Sir. Ich hoffe, Sie haben alles mitgebracht, was Sie brauchen. Es wird wohl eine ziemlich lange Fahrt werden.»
Bolitho musterte ihn nachdenklich. Herricks untersetzte Gestalt, sein schlichtes, volles Gesicht und die leuchtendblauen Augen waren ihm fast so vertraut wie die Alldays. Aber irgendwie kam ihm Herrick verändert vor. Es war nur vier Monate her, und doch..
Was hatte sich alles ereignet, seit sie zusammen auf der Admiralität gewesen waren! Die zahlreichen Unterredungen mit Männern, die so viel ranghöher und mächtiger waren als er, daß es ihn immer noch verblüffte, was eine Beförderung wie die seinige bewirken konnte. Jedesmal, wenn er die Befürchtung äußerte, die Ausrüstung seines neuen Flaggschiffs ginge nicht schnell genug voran, hatte er ihnen angesehen, daß sie sich leise über ihn amüsierten.