«Holen Sie die Flagge ein!«rief er laut.»Das ist ein Befehl!»
Die Kanonen schwiegen jetzt, und über dem Prasseln eines brennenden Versorgungsschiffes hörte man zögernde französische Hurrarufe.
Sie machen sich fertig zum Entern. Bolitho stieß den Degen in die Scheide und sah sich unter seinen Leuten um. Wenigstens die, die noch am Leben waren, brauchten jetzt nicht mehr zu sterben.
Wieder stieg der Rauch hoch, und mit ihm ein furchtbarer Kanonendonner; Bolitho glaubte eine Sekunde lang, daß die Franzosen ihren Sieg durch eine letzte mörderische Breitseite auf allerkürzeste Entfernung besiegeln wollten. Ein paar Wanten der Lysander wurden von Kugeln, die über das Deck fegten, weggefetzt wie Gras.
Wild schrie Herrick:»Das ist die Nicator, Sir! Sie feuert von der anderen Seite auf den Franzosen!»
Wegen des Pulverqualms und wegen der treibenden Transporter, die zum Teil brannten und die Rauchwand noch verstärkten, hatte niemand das langsame, vorsichtige Näherkommen der Nicator bemerkt. Sie schoß aus allen Rohren auf den Franzosen, der hilflos zwischen dem spärlichen Feuer aus den SteuerbordHeckgeschützen
der Lysander und den wütenden Breitseiten der Nicator lag und nicht entkommen konnte.
«Laufbrücken freimachen!«befahl Bolitho; er hörte Kugeln der Nicator durch die Takelage fegen.
Herrick zeigte auf Saxby, der wild um das Stag herumtanzte, an dem Bolithos Kommodorestander hing. Weder dieser noch die Kriegsflagge waren eingeholt.
Bald war es vorbei; als die hurra brüllenden Matrosen und Seesoldaten auf das Deck des Franzosen stürmten, ging die Trikolore nieder und verschwand im Rauch.
Eine Viertelstunde später erschien ein Leutnant der Nicator an Bord, während alle drei Schiffe, ineinander verstrickt, vorm Wind dahindrifteten und Sieger wie Besiegte sich einmütig der Verwundeten annahmen.
Der Leutnant sah sich an Deck um und nahm den Hut ab.»Es es tut mir leid, Sir. Wir sind wieder zu spät gekommen. So einen
Kampf wie den Ihren habe ich noch nie gesehen. «Er blickte zu Kampanje hinüber, wo verwundete Marine-Infanteristen weggetragen wurden.
«Und Captain Probyn?«fragte Herrick schroff.
«Gefallen, Sir. «Der Leutnant reckte das Kinn hoch.»Im Scharfschützenfeuer. War sofort tot.»
In hellem Schrecken schrie ein Mann, der zum Orlopdeck geschafft wurde; Bolitho dachte an Luce und Farquhar und Javal. Und an so viele andere.
«War das, bevor Sie uns zu Hilfe kamen oder nachher?«fragte er.
Der Leutnant machte ein sehr verlegenes Gesicht.»Vorher, Sir. Aber ich bin sicher, daß»
Bedeutsam blickte Bolitho Herrick an. Die Nicator war viel zu weit entfernt gewesen, unerreichbar für jede französische Musketenkugel. Bei einer Untersuchung würde der wahre Sachverhalt schwer aufzuklären und unmöglich zu beweisen sein. Aber jemand hatte, von Scham und Seelenqual getrieben, Probyn niedergeschossen, der dastand und ohne zu helfen zusah, wie Lysander und Immortalite vernichtet wurden.
Mit ernstem Lächeln sah er den bleichen Leutnant an.»Nun, Sie sind jedenfalls noch rechtzeitig gekommen.»
«Wir mußten doch, Sir«, sagte der junge Offizier und sah zur Seite.»Wir haben das Signal gesehen: Nahkampf. Das war uns genug«, sagte er leise.
Da erschien Pascoe auf dem Achterdeck, und Bolitho eilte hinüber und schloß seinen Neffen in die Arme. Der fremde Leutnant wandte den Blick von dieser Szene ab und sah hoch in einen Fleck blauen Himmels auf das immer noch wehende Signal.
«Stoßen Sie von dem Franzosen ab, Thomas, sobald Mr. Grubbs Leute mit dem Ruder fertig sind«, sagte Bolitho.»Er hat gut gekämpft, aber noch eine Prise kann ich nicht gebrauchen, wenn Brueys mit seiner ganzen Flotte in der Nähe ist.»
Herrick ging zur Reling und gab den Befehl an Leutnant Steere weiter, der aus dem unteren Batteriedeck gekommen war.
Grubb schlurfte unter der Kampanje hervor. Sein verwittertes Gesicht war schwarz von Rauch und Pulverschmiere.
«Sie reagiert jetzt aufs Ruder, Sir. Klar zum Ablegen!»
Herrick sagte leise:»Er hört Sie nicht, Mr. Grubb. Er starrt nur auf das Signal und denkt an alle, die es nicht mehr sehen können und nie mehr sehen werden. Ich kenne ihn.»
Stumm ging der Master zu seinen Rudergasten hinüber, und Herrick sagte zu dem tief erschütterten Pascoe:»Bleiben Sie bei ihm, Adam. Ich komme fürs erste schon ohne Sie zurecht. Versuchen Sie, ihm das zu erklären: Sie haben es nicht für irgendein Signal getan sondern für ihn.»
Epilog
«Der Ausguck hat soeben den Felsen von Gibraltar in Nordwest gesichtet, Sir. Mit einigem Glück können wir noch vor Sonnenuntergang dort vor Anker gehen.»
«Danke, Thomas. Ich habe es gehört. «Das klang etwas abwesend.»Sie können schon den Salut für den Admiral vorbereiten.»
«Und dann gehen Sie von Bord, Sir«, erwiderte Herrick melancholisch.
Bolitho stand auf und trat langsam zum Fenster. Die Nicator segelte etwa eine halbe Meile achteraus; Marssegel und Klüver standen sehr bleich im Sonnenlicht. Dahinter konnte er die unordentliche Formation der gekaperten Versorgungsschiffe ausmachen; außerdem eine französische Fregatte im Schlepptau, die schwer havariert und reparaturbedürftig war.