«An Deck! Französisches Linienschiff vor Anker hinter den Transportern!»
Bolitho ließ sein Glas über der Reling entlang hingleiten. Gesichter huschten wie Geister durch die Linse, dann fand er den französischen Vierundsiebziger und stellte das Glas genauer ein. Wie die dichtgedrängten Transporter lag auch er noch vor Anker. Doch die Segel waren nur lose aufgegeit, und die Ankertrosse war schon kurzstag, bereit zum Aufholen. Dahinter glitt eine Fregatte langsam vor dem Wind dahin; eben wurde ihre Fock gesetzt und leuchtete kurz im Sonnenlicht auf. Die beiden kleineren Begleitschiffe, Korvetten laut Plowman, mußten anderswo liegen. Das war nicht verwunderlich. Denn die Masten und Rahen der Transportschiffe überschnitten sich in einem scheinbar hoffnungslosen Gewirr. Grimmig musterte Bolitho sie durch sein Glas. Schwer beladen. Kanonen, Pulver, Kugeln, Zelte, Gewehre, Proviant für eine ganze Armee.
Wieder schlug eine Kugel dicht beim Rumpf ein und ließ das Deck erbeben.
Das einzige Mittel, der langsamen Vernichtung durch die weitreichende Artillerie zu entgehen, war, mehr Segel zu setzen, anzugreifen und so nahe an die ankernden Schiffe heranzusegeln, daß der Feind nicht mehr genau schießen konnte.
«Wo bleibt bloß die Nicator?« fragte Farquhar erregt.»Herrgott, sie müßte doch jetzt in Sicht kommen!»
«Der französische Vierundsiebziger hat Anker gelichtet, Sir!»
Bolitho blickte zu Farquhar hin, doch der hatte die Meldung offenbar nicht gehört.
«Danke«, sagte Bolitho,»Mr. Outhwaite, Steuerbordbatterien feuerbereit!»
Dann sah er, daß der Bootsmann unter dem Achterdeck hervorkam und etwas zu melden hatte.»Zwei Durchschüsse, Sir. Aber bis jetzt kein Schaden unter der Wasserlinie. Wenn's nicht schlimmer wird, geht's noch.»
«Danke«, sagte Farquhar kurz und nickte.
«Setzen Sie die Fock, Captain«, sagte Bolitho zu ihm.»Und Signal an die Buzzard: >Breche in Kürze durch die feindliche Li-nie<!»
Farquhar starrte ihn an.»Wir könnten uns in ihren Festmachern verfangen, Sir! Ich würde vorschlagen.»
Beide duckten sich, denn wieder flog eine Kugel niedrig über ihre Köpfe hinweg, und Bolitho fühlte ihren Atem an seinen Schultern wie das Sausen einer Säbelklinge.
«Die Nicator müßte jetzt schon in Sicht sein«, sagte er.»Mindestens für den Ausguck. Probyn muß also auf Widerstand gestoßen sein. Wenn weder er noch wir zum Angriff kommen, würden wir alle beide für nichts und wieder nichts kaputtgeschossen!»
Er ging zur Leeseite. Weit vorn sprang
eine dünne Wassersäule hoch. Die Franzosen und ihre neuen Geschütze waren sehr gut. Auf diese Entfernung konnten sie kaum noch danebenschießen, und dennoch warteten sie ab. Sparten ihre Munition für die Hauptmasse des Geschwaders, das sie erwarteten; oder sie wollten sich erst über die Taktik der Engländer klarwerden.
Nein, das konnte nicht stimmen. So vertrauensselig konnte kein Artillerieoffizier sein.
Er hörte, wie das Ruderrad überkam, die neugesetzte Fock erst killte und dann zog, wie die Brassen dichtgeholt, die Rahen getrimmt wurden. Auf dem Achterdeck, das sich nach Lee neigte, ruckte einer der Neunpfünder heftig an seinen Zügen. Auf diese plötzliche Segelverstärkung würde die französische Artillerie wahrscheinlich reagieren.
So gelassen wie möglich schritt er zur anderen Seite und spähte über das wimmelnde Batteriedeck nach dem französischen Zwe i-decker. Unter geringster Besegelung stand er in etwa zwei Meilen Distanz. Schon das war ein Fehler. Sein Kommandant befehligte das stärkste der anwesenden Kriegsschiffe, seine erste Pflicht war es, die Transportflotte zu schützen, ganz gleich, was kam.
Noch eine halbe Meile; durch sein Glas konnte Bolitho die winzigen Gestalten auf den Decks der nächstliegenden Transporter herumrennen sehen. Die glaubten wahrscheinlich immer noch, die Osiris sei ein Dreidecker und sie würden die erste volle, vernichtende Breitseite abbekommen.
«Einen Strich anluven, Captain!»
«Aye, Sir. Kurs Nord zu West.»
Bolitho sah Pascoe fragend an.»Ist die Nicator zu sehen?»
«Nein, Sir. «Pascoe deutete auf den Pulk der Schiffe.»Sie läßt sich ein vielversprechendes Ziel entgehen.»
Doch Bolitho kannte Adam gut genug, um diese kühle Bemerkung zu durchschauen. Er sah auch, wie Midshipman Breen, der Pascoe beim Signaldienst half, diesen anstarrte, als flehe er um die Bestätigung, alles sei in Ordnung.
Die nächsten, an der Spitze zweier getrennter Reihen ankernden Transporter eröffneten das Feuer mit ihren Buggeschützen; winselnd flogen die Kugeln hoch über das Schiff; eine nur schlug ein sauberes Loch ins Großmarssegel.
Plötzlich rief der Master:»Untiefen an Backbord voraus, Sir!»
Unwillig erwiderte Farquhar:»Von denen sind wir doch klar! Was soll ich denn dagegen tun, Mann? Fliegen?»
Von dem, was jetzt kam, hörte Bolitho überhaupt nichts, wie in einem Fiebertraum: an Backbord barst das Schanzkleid auseinander, mit einer Eruption umherfliegender Splitter rissen die Decksplanken in schiefer Linie auf, Trümmer und das ganze Rohr eines Neunpfünders landeten auf der anderen Deckseite. Das geladene Geschütz ging los, seine Kugel riß eine andere Kanone um, die auf ihre Bedienung stürzte; die Schreckens- und Schmerzens-schreie gingen im Getöse unter.