«So, Martyn, was hieltest du von deinem ersten freien Abend?«Die beiden Fähnriche saßen mit ausgestreckten Beinen vor dem prasselnden Kaminfeuer, die Augen fielen ihnen fast zu von der Hitze und dem üppigsten Mahl, das Mrs. Tremayne seit langem zubereitet hatte.
Dancer hob sein Glas, sah zu, wie der Flammenschein durch den rubinfarbenen Portwein changierte, und lächelte zufrieden.»Sieht einem Wunder verdammt ähnlich. «Es war ein sehr ausgedehntes Mahl gewesen, und Bolithos Mutter sowie seine jüngere Schwester Nancy hatten sich alle Mühe gegeben, die beiden zum Erzählen zu bringen. Bolitho ertappte sich bei der Vorstellung, wie viele Erzählungen dieser Tisch wohl schon mit angehört hatte, einige sicherlich ein wenig ausgeschmückt, aber alle wahr und erlebt. Nancy hatte aus diesem Anlaß ein neues Kleid getragen, das offensichtlich in Truro angefertigt worden war:»Das Neueste aus Frankreich. «Es war tief ausgeschnitten, und obwohl ihre Mutter einige Male die Stirn gerunzelt hatte, ließ es sie eher jünger wirken als leichtfertig.
Sie glich ihrer Mutter viel stärker als ihre Schwester, die mehr nach der Bolitho-Seite schlug. Nancy hatte das gleiche, leicht hervorbrechende Lächeln, mit dem Harriet seinerzeit Kapitän James Bolitho so bezaubert hatte, daß er das schottische Mädchen zur Frau nahm.
Auf Dancer hatte Nancy großen Eindruck gemacht, und Bolitho schien es, als beruhe dies auf Gegenseitigkeit. Draußen war es ruhiger geworden, der Hagel ging allmählich in Schnee über. Die Ställe und anderen Gebäude waren bereits mit einer dicken, glitzernden Schicht bedeckt. Niemand würde heute nacht mehr weit kommen, dachte Bolitho und bedauerte den Kutscher auf seinem Wege nach Penzance. Wie still das Haus wirkte. Die Dienstboten waren schon lange zu Bett gegangen, nur die beiden Freunde saßen noch träumend oder ihr
Garn spinnend vor dem Kamin.
«Morgen gehen wir zum Hafen hinunter, Martyn, wenn mir auch Mr. Tremayne gesagt hat, daß im Augenblick so gut wie nichts auf Reede liegt, was des Ansehens wert sei. «Die männliche Hälfte der Familie Tremayne war Butler und Faktotum im Haus und wie alles andere Personal recht alt. Obgleich der Siebenjährige Krieg schon vor zehn Jahren zu Ende gegangen war, waren die vielen Lücken, die er in den Dörfern und Siedlungen hinterlassen hatte, immer noch fühlbar. Manch junger Mann war in den Kämpfen gefallen, anderen hatte es draußen in der Welt besser gefallen als in ihrer engen, ländlichen Heimatgemeinde, und sie waren nicht mehr zurückgekehrt. In Falmouth wurde man entweder Seemann oder Landarbeiter, so war es seit alters her.
«Vielleicht ist es morgen klar genug, daß wir reiten können?«»Du kannst reiten?»
«Wir fahren in London nicht immer nur Kutsche, oder was glaubst du?»
Ihr Gelächter verstummte abrupt, als zwei laute Schläge von der Eingangstür durch das Haus dröhnten.
«Wer ist um diese Zeit noch unterwegs?«Dancer war schon aufgesprungen.
Bolitho hob die Hand.»Warte!«Er trat an einen Schrank und nahm eine Pistole heraus.»Wir wollen lieber vorsichtig sein, selbst hier.»
Zusammen öffneten sie die große Doppeltür; der kalte Wind umfing ihre überhitzten Körper wie ein Leichentuch. Bolitho erkannte den Jagdhüter seines Vaters, John Pendrith, der dicht beim Haus eine Kate bewohnte. Es war ein mürrischer Mann von mächtigem Körperbau, gefürchtet von den Wilderern, deren es nicht wenige gab.
«Tut mir leid, wenn ich störe, Sir. «Er gestikulierte vage mit seiner langläufigen Flinte.»Aber da ist einer aus der Stadt gekommen, und der alte Reverend Walmsley sagte, am besten sollte ich zu Ihnen gehen.«»Komm herein, John.»
Bolitho schloß die Tür hinter ihm. Der späte Besuch des riesigen Jagdaufsehers wie auch dessen geheimnisvolles Gehabe beunruhigten ihn etwas.
Pendrith nahm dankend ein Glas Brandy an und wärmte sich am Feuer. Dampf stieg von seinem dicken Überrock auf wie von einem Zugpferd.
Was auch geschehen sein mochte, es muß etwas Wichtiges sein, wenn Pfarrer Walmsley es für nötig hielt, mitten in der Nacht einen Boten zu schicken.
«Dieser Bursche hat eine Leiche gefunden, Sir, unten am Strand. Sie hat wohl schon einige Zeit im Wasser gelegen. «Trübe blickte er auf.»Es ist Tom Morgan, Sir. «Bolitho biß sich auf die Lippen.»Der Zolleintreiber?«»Aye. Er ist umgebracht worden, bevor man ihn ins Wasser warf, sagt der Junge.»
Im Treppenhaus waren Geräusche zu hören, dann kam Bolithos Mutter herabgeeilt, in einen grünen Samtumhang gehüllt; fragend sah sie Bolitho an.
«Ich mache das schon, Mutter«, sagte Bolitho beruhigend.»Sie haben Tom Morgan am Stand gefunden.»
«Tot?»
Pendrith antwortete grob:»Ermordet, Madam. «Zu Bolitho gewandt, erklärte er:»Sehen Sie, Sir, die Soldaten sind nämlich weg und der Friedensrichter ist in Bath, also wandte sich der alte Reverend an Sie. «Er schnitt eine Grimasse.»Schließlich sind Sie ein Offizier des Königs, Sir.»
Dancer rief:»Sicherlich ist da noch sonst wer zuständig?«Aber Bolithos Mutter zog schon an der Klingelschnur, das Gesicht blaß, doch entschlossen.
«Nein. Sie kommen immer zu uns. Ich lasse Corker zwei Pferde satteln. Du begleitest sie, John.»