«Kurs auf die Reede, Mr. Partridge! Ich gehe inzwischen zum Ad-miral.»
Partridge starrte ihn an und faßte dann an seinen zerbeulten Hut.»Aye, aye, Sir.»
Unter der Kampanje war es kühl und dunkel nach der blendenden Helligkeit auf dem Hüttendeck; und als Bolitho zum Niedergang schritt, der zur Wohnkajüte des Admirals führte, grübelte er immer noch darüber nach, was die Zukunft ihm und seinem Schiff wohl bringen würde. Während er leichtfüßig den Niedergang hinabeilte, wurde ihm plötzlich wieder einmal klar, mit was für gemischten Gefühlen er damals das Kommando über die Euryalus übernommen hatte. Es war durchaus nichts Ungewöhnliches, Prisenschiffe in die Flotte zu übernehmen und gegen ihre früheren Herren einzusetzen, und meistens ließ man ihnen auch den alten Namen. Viele Matrosen glaubten, den Schiffsnamen zu wechseln, bringe Unglück; aber was Seeleute so daherredeten, beruhte meist nur auf alten Überlieferungen und nicht auf Tatsachen.
Sie hatte vorher Tornade geheißen und war das Flaggschiff des französischen Admirals Lequiller gewesen, der die britische Blockade durchbrochen hatte und in den Westatlantik bis zu den Kariben vorgestoßen war, wo er Tod und Verderben verbreitete; doch schließlich hatte ihn ein relativ kleines britisches Geschwader in der Biskaya gestellt. Lequiller hatte vor Bolithos Schiff die Flagge streichen müssen, vor der alten Hyperion ; aber er hatte den hochbetagten Zweidek-ker vorher so zusammengeschossen, daß er nur noch ein schwimmendes Wrack war.
Die Lords der Admiralität hatten entschieden, daß Bolithos große Prise umbenannt werden sollte, wohl hauptsächlich aus verletzter Eitelkeit, denn Lequiller hatte sie mit diesem Schiff mehr als einmal überlistet. Komisch, dachte Bolitho damals, daß die Herren, die Seiner Majestät Kriegsflotte von den Höhen der Admiralität aus leiteten, so wenig von Schiffen und Seeleuten verstanden, daß sie einen solchen Namenswechsel für nötig hielten.
Nur die neue Galionsfigur der Euryalus war englisch. Jethro Miller in St. Austeil, Grafschaft Cornwall, hatte sie geschnitzt, ein Geschenk der Bürger von Falmouth für einen der berühmtesten Söhne ihrer Stadt. Miller war Schiffszimmermann auf der Hyperion gewesen
und hatte in jener letzten furchtbaren Seeschlacht ein Bein verloren. Aber seine Kunstfertigkeit war ihm geblieben, und die Figur, die aus kalten blauen Augen nach vorn starrte, mit Schild und erhobenem Schwert, hatte das Wesen des Schiffes ein wenig verändert. Vielleicht sah sie dem Helden der Belagerung von Troja nicht sehr ähnlich, aber es reichte aus, um das Herz so manchen Feindes mit Furcht zu erfüllen, der sie sah und ahnte, was auf ihn zukam. Denn der mächtige Drei-decker repräsentierte eine Kampfkraft, mit der man rechnen mußte. In Brest von einer der besten Werften Frankreichs erbaut, besaß er alle modernen Verfeinerungen und Verbesserungen in Bau und Besegelung, die sich ein Kommandant nur wünschen konnte.
Vom Vorsteven bis zur Heckreling maß das Schiff 225 Fuß, und in ihren zweitausend Tonnen Raum trug sie nicht nur hundert Geschütze, darunter die schweren Zweiunddreißigpfünder der Unterdeckbatterie, sondern auch über achthundert Mann Besatzung Offiziere, Matrosen und Marine-Infanteristen. Sie konnte, wenn sie richtig geführt wurde, ein respektheischendes, ja vernichtendes Wort mitreden. Als sie in Dienst gestellt wurde, mußte Bolitho jeden Mann nehmen, den er kriegen konnte, denn der rund um die Uhr gehende Schiffsdienst erforderte eine Menge Menschen. Bleiche Schuldner und Taschendiebe aus den Gefängnissen, ein paar ausgebildete Seeleute von anderen im Dock liegenden Schiffen, und die übliche Mischung, die von den gefürchteten Preßkommandos eingebracht wurde. Denn die Zeiten waren hart, und die menschenhungrige Kriegsflotte hatte schon jeden Hafen, jedes Dorf durchsiebt und bejagt; und da man immer stärker mit der Möglichkeit einer französischen Invasion rechnen mußte, konnte es sich kein Kapitän leisten, noch groß zu wählen und auszusuchen, wenn er sein Schiff kampffähig machen wollte.
Es hatte auch Freiwillige gegeben, meistens Männer aus Cornwall, die Bolithos Namen und Ruf kannten, doch waren viele darunter, die ihn nie im Leben persönlich gesehen hatten.
Im Grunde war er mit der Euryalus dienstlich ein gutes Stück vorwärtsgekommen, wie er sich damals oft gesagt hatte. Sie war ein großartiges und noch dazu neues Schiff. Außerdem war dieses Kommando sowohl eine offene Anerkennung seiner bisherigen Leistungen als auch das Sprungbrett zu weiterer Beförderung. Von so etwas träumte jeder ehrgeizige Marineoffizier; und in einer Laufbahn, bei der das Avancement oftmals vom Tode eines Ranghöheren abhing, mußte die Euryalus Bewunderung und Neid bei denen erregen, die weniger Glück hatten.
Doch für Bolitho bedeutete sie noch etwas mehr, etwas sehr Persönliches. Während er die Karibische See durchstreifte und dann zu jener letzten Schlacht in die Biskaya zurücksegelte, hatte ihn die Erinnerung an Cheney, seine Frau, gequält, die unterdessen in Cornwall gestorben war; er war in ihrer Todesstunde, als sie ihn am nötigsten gebraucht hätte, nicht bei ihr gewesen. Er hätte zwar nichts tun können, dessen war er sich bewußt. Die Kutsche war umgestürzt; Cheney war dabei ums Leben gekommen, und ihr ungeborenes Kind auch. Es hätte nichts genutzt, wenn er dabeigewesen wäre. Und doch ließ ihn der Gedanke daran nicht los, und er zog sich von seinen Offizieren und der Mannschaft so sehr zurück, daß er zu allem anderen auch noch unter seiner Einsamkeit litt.