Herbert schrie mich an:
Ein Jeep! woher?
Kurz darauf schnarchte er.
Sonst herrschte, sobald der Dieselmotor abgestellt war, meistens Stille; ein Pferd graste im Mondschein, im gleichen Gehege ein Reh, aber lautlos, ferner eine schwarze Sau, ein Truthahn, der das Wetterleuchten nicht vertrug und kreischte, ferner Gänse, die plötzlich, vom Truthahn aufgeregt, ebenfalls schnatterten, plötzlich ein Alarm, dann wieder Stille, Wetterleuchten über dem plat-ten Land, nur das grasende Pferd hörte man die ganze Nacht.
Ich dachte an Joachim
Aber was eigentlich?
Ich war einfach wach.
Nur unser Ruinen-Freund schwatzte viel, und wenn man zuhörte, sogar ganz interessant; von Tolteken10, Zapoteken11, Azteken12, die zwar Tempel erbaut, aber das Rad nicht gekannt haben. Er kam aus Boston und war Musiker. Manchmal ging er mir auf die Nerven wie alle Künstler, die sich für höhere oder tiefere Wesen halten, bloß weil sie nicht wissen, was Elektrizität ist.
Schließlich schlief ich auch.
Am Morgen, jedesmal, weckte mich ein sonderbarer Lärm, halb Industrie, halb Musik, ein Geräusch, das ich mir nicht erklären konnte, nicht laut, aber rasend wie Grillen, metallisch, monoton, es musste eine Mechanik sein, aber ich erriet sie nicht, und später, wenn wir zum Frühstück ins Dorf gingen, war es verstummt, nichts zu sehen. Wir waren die einzigen Gäste in der einzigen Pinte, wo wir immer das gleiche bestellten: Huevos à la mexicana, sauscharf, aber vermutlich gesund, dazu Tortilla, dazu Bier. Die indianische Wirtin, eine Matrone mit schwarzen Zöpfen, hielt uns für Forscher. Ihre Haare erinnern an Gefieder: schwarz mit einem bläulich-grünen Glanz darin; dazu ihre Elfenbein-Zähne, wenn sie einmal lächeln, ihre ebenfalls schwarzen und weichen Augen.
Frag sie doch, sagte Herbert, ob sie meinen Bruder kennt und wann sie ihn zuletzt gesehen hat.
Viel war nicht zu erfahren.
Sie erinnert sich an ein Auto, sagte ich, das ist alles Auch der Papagei wusste nichts.
Gracias, hihi!
Ich redete spanisch mit ihm.
Hihi, gracias, hihi!
Am zweiten oder dritten Morgen, als wir wie üblich frühstückten, begaft von lauter Maya-Kindern, die übrigens nicht betteln, sondern einfach vor unserem Tisch stehen und von Zeit zu Zeit lachen, war Herbert von der fixen Idee besessen, es müsste irgendwo in diesem Hühnerdorf, wenn man es gründlich untersuchte, irgendeinen Jeep geben irgendwo hinter einer Hütte, irgend-wo im Dickicht von Kürbis und Bananen und Mais. Ich ließ ihn. Es war Blödsinn, schien mir, wie alles, aber es war mir einerlei, ich hing in meiner Hängematte, und Herbert zeigte sich den ganzen Tag nicht.
Sogar zum Filmen war ich zu faul.
Außer Bier, Yucateca, das ausgezeichnet war, aber ausgegangen, gab es in Palenque nur noch Rum, miserabel, und Coca-Cola, was ich nicht ausstehen kann
Ich trank Rum und schlief.
Jedenfalls dachte ich stundenlang an nichts Herbert, der erst in der Dämmerung zurückkam, bleich vor Erschöpfung, hatte einen Bach entdeckt und gebadet, ferner zwei Männer entdeckt, die mit krummen Säbeln (so behauptete er) durch den Mais gingen, Indios mit weißen Hosen und weißen Strohhüten, genau wie die Männer im Dorf aber mit krummen Säbeln in der Hand.
Von Jeep natürlich kein Wort!
Er hatte Angst, glaube ich.
Ich rasierte mich, solange es noch elektrischen Strom gab. Herbert erzählte wieder von seinem Kaukasus, seine Schauergeschichten vom Iwan, die ich kenne; später gingen wir, da es kein Bier mehr gab, ins Kino, geführt von unserem Ruinen-Freund, der sein Palenque kannte es gab tatsächlich ein Kino, Schopf mit Wellblechdach, wir sahen als Vorfilm: Harald Lloyd, Fassadenkletterei in der Mode der Zwanzigerjahre; als Hauptfilm: Liebesleidenschaft in den besten Kreisen von Mexico, Ehebruch mit Cadillac und Browning, alles in Marmor und Abendkleid. Wir lachten uns krumm, während die vier oder fünf Indios reglos vor der zerknitterten Leinwand hockten, ihre großen Strohhüte auf dem Kopf, vielleicht zufrieden, vielleicht auch nicht, man weiß es nie, undurchsichtig, mongolisch Unser neuer Freund, Musiker aus Boston, wie gesagt, Amerikaner französischer Herkunft, war von Yucatan begeistert und konnte nicht fassen, dass wir uns nicht für Ruinen interessieren; er fragte, was wir hier machten.
Achselzucken unsrerseits
Wir blickten uns an, Herbert und ich, indem es jeder dem andern überließ, zu sagen, dass wir auf einen Jeep warten. Ich weiß nicht, wofür der andere uns hielt.
Rum hat den Vorteil, dass man nicht einen Schweißausbruch hat wie nach jedem Bier, dafür Kopfschmerzen am anderen Morgen, wenn wieder der unverständliche Lärm losgeht, halb Klavier, halb Maschinengewehr, dazu Gesang jedesmal zwischen 6.00 und 7.00 Uhr, jedesmal will ich der Sache nachgehen, vergesse es aber im Lauf des Tages.
Man vergisst hier alles.
Einmal wir wollten baden, aber Herbert fand seinen sagenhaften Bach nicht wieder, und wir gerieten plötzlich zu den Ruinen trafen wir unseren Künstler an seiner Arbeit. In dem Gestein, das einen Tempel vorstellen soll, glühte eine Höllenhitze. Seine einzige Sorge: kein Schweisstropfen auf sein Papier! Er grüßte kaum; wir störten ihn. Seine Arbeit: er spannte Pauspapier über die steinernen Reliefs, um dann stundenlang mit einer schwarzen Kreide darüber hinzustreichen, eine irrsinnige Arbeit, bloß um Kopien herzustellen; er behauptete steif und fest, man könne diese Hieroglyphen und Götterfratzen nicht fotografieren, sonst wären sie sofort tot. Wir ließen ihn.
Ich bin kein Kunsthistoriker
Nach einiger Pyramidenkletterei aus purer Langeweile (die Stufen sind viel zu steil, gerade das verkehrte Verhältnis von Breite und Höhe, so dass man außer Atem kommt) legte ich mich, schwindlig vor Hitze, irgendwo in den Schatten eines sogenannten Palastes, meine Arme und Beine von mir gestreckt, atmend.
Die feuchte Luft
Die schleimige Sonne
Ich war entschlossen, meinerseits umzukehren: wenn wir bis morgen keinen Jeep hätten Es war schwüler als je, moosig und moderig, es schwirrte von Vögeln mit langen blauen Schwänzen, jemand hatte den Tempel als Toilette benutzt, daher die Fliegen. Ich versuchte zu schlafen. Es schwirrte und lärmte wie im Zoo, wenn man nicht weiß, was da eigentlich pfeift und kreischt und trillert, Lärm wie moderne Musik, es können Affen sein, Vögel, vielleicht eine Katzenart, man weiß es nicht, Brunst oder Todesangst, man weiß es nicht.
Ich spürte meinen Magen. (Ich rauchte zuviel!)
Einmal, im elften oder dreizehnten Jahrhundert, soll hier eine ganze Stadt gestanden haben, sagte Herbert, eine Maya-Stadt
Meinetwegen!
Meine Frage, ob er eigentlich noch an die Zukunft der deutschen Zigarre glaube, beantwortete Herbert schon nicht mehr: er schnarchte, nachdem er eben noch von der Religion der Maya geredet hatte, von Kunst und Derartigem.
Ich ließ ihn schnarchen.
Ich zog meine Schuhe aus, Schlangen hin oder her, ich brauchte Luft, ich hatte Herzklopfen vor Hitze, ich staunte über unseren Pauspapier-Künstler, der an der prallen Sonne arbeiten konnte und dafür seine Ferien hergibt, seine Ersparnisse, um Hieroglyphen, die niemand entziffern kann, nach Hause zu bringen
Menschen sind komisch!
Ein Volk wie diese Maya, die das Rad nicht kennen und Pyramiden bauen, Tempel im Urwald, wo alles vermoost und in Feuchtigkeit zerbröckelt wozu?
Ich verstand mich selbst nicht.
Vor einer Woche hätte ich in Caracas und heute (spätestens) wieder in New York landen sollen; statt dessen hockte man hier um einem Jugendfreund, der meine Jugendfreundin geheiratet hat, Gutentag zu sagen.