Крайтон Майкл - Gold - Pirate Latitudes стр 8.

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Sie schloss die Augen, und der Singsang der schwarzen Frau wurde in ihrem Kopf durch das Läuten von Kirchenglocken verdrängt. Irgendwann hatte sie begonnen, diesen monotonen, unaufhörlichen Klang zu hassen, in London.

Anne war das Jüngste von drei Kindern, die Tochter eines Matrosen, der nach seinem Abschied von der See Segelmacher in Wapping geworden war. Als kurz vor Weihnachten die Pest ausbrach, hatten ihre zwei älteren Brüder sich als Wächter verdingt. Sie standen vor den Türen pestbefallener Häuser und sorgten dafür, dass keiner der Bewohner herauskam. Anne selbst arbeitete als Pflegerin für verschiedene wohlhabende Familien.

Im Laufe der Wochen verschmolzen die schrecklichen Dinge, die sie gesehen hatte, in ihrer Erinnerung. Die Kirchenglocken läuteten Tag und Nacht. Sämtliche Friedhöfe waren überfüllt; bald wurden die Toten nicht mehr einzeln bestattet, sondern in tiefen Massengräbern, wo sie hastig mit Kalk und Erde bedeckt wurden. Wenn die Totenkarren, auf denen sich die Leichen türmten, durch die Straßen gezogen wurden, blieben die Totengräber vor jedem Haus stehen und riefen: »Bringt eure Toten heraus.« Der Verwesungsgeruch war allgegenwärtig.

Die Angst ebenso. Einmal sah sie, wie ein Mann auf der Straße tot umfiel und sein dicker Geldbeutel klimpernd neben ihm landete. Scharen von Menschen gingen an dem Toten vorbei, doch niemand wagte es, die Geldbörse aufzuheben. Selbst als der Leichnam später weggekarrt wurde, blieb der Geldbeutel unangetastet.

Auf allen Märkten hatten die Lebensmittel-und Fleischhändler Schüsseln mit Essig neben ihren Waren stehen. Die Kunden warfen die Münzen in den Essig; nicht eine Münze wurde von Hand zu Hand gereicht. Alle bemühten sich, das Geld passend zu haben.

Nach Amuletten, billigem Schmuck, Zaubertränken und -sprüchen herrschte eine rege Nachfrage. Anne selbst kaufte sich ein Medaillon, das irgendein übel riechendes Kraut enthielt, aber angeblich die Pest abwehrte. Sie trug es ständig.

Und doch starben die Menschen weiter. Ihr ältester Bruder erkrankte an der Pest. Eines Tages traf sie ihn auf der Straße. Sein Hals war geschwollen und mit dicken Beulen übersät, und sein Zahnfleisch blutete. Sie sah ihn nie wieder, aber sie vermutete, dass er gestorben war.

Ihren anderen Bruder ereilte das übliche Wächterschicksal. Während er eines Nachts ein Haus bewachte, liefen die eingeschlossenen Bewohner plötzlich Amok, weil die Krankheit ihnen den Verstand raubte. Sie brachen aus und töteten Annes Bruder mit einer Pistolenkugel. Sie hatte nur davon gehört; gesehen hatte sie ihn nicht.

Schließlich wurde auch Anne in einem Haus eingesperrt, das der Familie eines Mr Sewell gehörte. Sie pflegte die ältere Mrs Sewell – die Mutter des Hausbesitzers –, als sich bei Mr Sewell die Schwellungen zeigten. Das Haus wurde unter Quarantäne gestellt. Anne pflegte die Kranken, so gut sie konnte. Einer nach dem anderen in der Familie erkrankte und starb. Die Leichen wurden den Totenkarren übergeben. Schließlich war sie ganz allein im Haus und wie durch ein Wunder noch immer bester Gesundheit.

Erst da stahl sie ein paar Goldsachen und die wenigen Münzen, die sie finden konnte, floh dann in der Nacht durch das Fenster im ersten Stock und über die Dächer Londons. Ein Wachtmeister griff sie am nächsten Morgen auf und wollte wissen, woher ein junges Mädchen so viel Gold hatte. Er nahm das Gold und steckte sie ins Zuchthaus Bridewell.

Dort schmachtete sie einige Wochen lang, bis Lord Ambritton, ein wohltätiger Gentleman, bei einem Rundgang durch das Zuchthaus auf sie aufmerksam wurde. Anne hatte längst die Erfahrung gemacht, dass Gentlemen ihren Anblick ansprechend fanden. Lord Ambritton bildete da keine Ausnahme. Er sorgte dafür, dass sie in seine Kutsche gesetzt wurde, und nach einigen Tändeleien ganz nach seinem Geschmack versprach er ihr, sie in die Neue Welt zu schicken.

Kurz darauf war sie auch schon in Plymouth und dann an Bord der Godspeed. Während der Fahrt hatte Captain Morton, jung und kraftvoll, wie er war, an ihr Gefallen gefunden, und da er ihr in seiner Kajüte frisches Fleisch und andere Leckerbissen zu essen gab, war sie hocherfreut, ihn näher kennenzulernen, was sie fast jede Nacht tat.

Jetzt war sie hier, an diesem neuen Ort, wo alles fremd und unbekannt war. Aber Angst hatte sie keine, denn sie war sicher, dass der Gouverneur sie mochte, genau wie die anderen Gentlemen sie gemocht und sich um sie gekümmert hatten.

Nach dem Baden zog man ihr ein gefärbtes Wollkleid und eine Baumwollbluse an. Es waren die schönsten Sachen, die sie seit über drei Monaten getragen hatte, und es war ein schönes Gefühl, den Stoff auf der Haut zu spüren. Die Schwarze öffnete die Tür und forderte sie mit einem Wink auf, ihr zu folgen.

»Wohin gehen wir?«

»Zum Gouverneur.«

Sie wurde einen großen, breiten Flur hinuntergeführt. Der Boden war aus Holz, aber uneben. Sie fand es seltsam, dass ein so wichtiger Mann wie der Gouverneur in einem so primitiven Haus wohnte. Viele einfache Gentlemen in London hatten elegantere Häuser als das hier.

Die Schwarze klopfte an eine Tür, und ein anzüglich dreinblickender Schotte öffnete sie. Dahinter sah Anne ein Schlafgemach. Der Gouverneur stand in einem Nachthemd neben dem Bett und gähnte. Der Schotte bedeutete ihr mit einem Nicken einzutreten.

»Aha«, sagte der Gouverneur. »Mistress Sharpe. Ich muss sagen, Eure äußere Erscheinung hat sich durch Eure Ablutionen deutlich verbessert.«

Sie wusste nicht genau, wovon er sprach, aber wenn er zufrieden war, dann war sie es auch. Sie machte einen Knicks, wie ihre Mutter es ihr beigebracht hatte.

»Richards, Ihr könnt uns allein lassen.«

Der Schotte nickte und schloss die Tür. Sie war mit dem Gouverneur allein. Sie beobachtete seine Augen.

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