Noddall machte sich am Tisch mit seinem Weinkühler zu schaffen.
Bolitho beobachtete ihn; er kannte jede seiner Bewegungen. Noddall war klein und flink wie ein Wiesel, hielt sogar die Hände, wenn sie nicht beschäftigt waren, wie Pfoten vor seinen Körper. Ein guter und williger Diener, war er wie mancher andere von Bolithos Undine mit auf dieses Schiff gekommen.
Herrick stand auf. Sein Kopf reichte nicht bis an die Decksbalken der Kajüte, was ein Beweis für die großzügigen Abmessungen der Tempest war. Er hob sein Glas.
«Auf Ihr Wohl, Sir, und auf Ihren Geburtstag. «Er grinste.»Ich weiß, daß er eigentlich gestern war, aber ich brauchte einen Tag, um den Wein zu entdecken. «Wortkarg saßen sie zusammen, rauchten ihre langen Pfeifen, und ihre Gläser wurden von dem aufmerksamen Noddall bereitwillig nachgefüllt.
Durch das Oberlicht konnten sie die Sterne sehen, sehr groß und nahe, und die regelmäßigen Schritte des Steuermannsmaaten der Wache hören, dazwischen das gelegentliche Scharren der Stiefel des Marinesoldaten, der jenseits des Schotts Posten stand.
Bolitho sagte:»In Cornwall ist es jetzt Spätherbst. «Er wußte nicht, warum er das sagte, vielleicht hatte er an Sayer gedacht. Sofort sah er es vor sich: goldenes und braunes Laub, jede Morgendämmerung eine Spur kälter, aber immer noch frisch und klar. Das hielt den Winter auf. Er versuchte, sich an die üblichen Geräusche zu erinnern: den Ton der klingenden Hämmer, wenn die Landarbeiter die Zeit nutzten, um die typischen Stein- und Schieferwälle zu bauen
oder zu reparieren, die ihre Felder und Häuser voneinander trennten. Das Blöken der Schafe und Stampfen der Fischer, die am Abend von Falmouth zu ihren kleinen Weilern herauf-wanderten.
Er dachte an sein eigenes Haus unterhalb von Pendennis Castle: kantig und grau, seit Generationen das Heim der Bolithos. Jetzt wohnte dort niemand von Ferguson, dem Verwalter, und der Dienerschaft abgesehen. Alle waren entweder tot oder fortgezogen wie seine beiden verheirateten Schwestern, die ihr eigenes Leben führten. Er erinnerte sich seiner ersten Begegnung mit dem Hauptmann der Marineinfantrie, Prideaux. Dessen Ruf als Duellant hatte ihn an seinen Bruder Hugh erinnert. Hugh hatte wegen einer Spielschuld einen Offizierskameraden im Duell getötet und war nach Amerika geflohen. Daß er von seinem Schiff desertierte, war für ihren Vater schon ein schwerer Schock gewesen, doch als Hugh in die Marine der amerikanischen Revolutionäre eintrat und ein Kaperschiff gegen seine alten Freunde und Waffenbrüder führte, hatte das den Tod des alten Mannes vollends beschleunigt. Nun lebte auch Hugh nicht mehr, war angeblich von einem durchgehenden Pferd in Boston getötet worden.
Herrick spürte die Veränderung in Bolithos Stimmung.»Ich glaube, es wird Zeit für mich, Sir. Ich ahne, daß uns morgen einiges bevorsteht. Zwei Tage im Hafen? >Aber, aber!< wird oben bestimmt jemand sagen, >dazu ist die Tempest nicht da.< Und das stimmt auch. «Er grinste breit.»Ich glaube wirklich, wenn wir alle Leute hätten an Land gehen lassen, dann hätten wir sie nie zurückbekommen. Nicht in diesem Hafen.»
Bolitho blieb noch lange am Heckfenster sitzen, nachdem Herrick zu seiner Koje gegangen war oder wahrscheinlicher in die Messe zu einem letzten Drink mit den anderen Offizieren.
Herrick schien immer zu ahnen, wann sein Kommandant allein sein wollte, um nachzudenken; wie er auch verstand, daß die Bindung zwischen ihnen dadurch nur stärker wurde. Bolitho beobachtete den Rauch, der von seiner Pfeife aufstieg und langsam hinaus über das schwarze Wasser zog. Es tat nicht gut, zu oft an zu Hause zu denken. Doch er war jetzt schon so lange fort, und wenn er hier verbannt bleiben sollte, dann mußte er etwas dagegen unternehmen. Er hörte seltsam trauriges Geigenspiel vom Vordeck: vermutlich Owston, der Seiler, der für die Ankerwache aufspielte und auch die anderen Leute der Hundewachen unterhielt.
Die Tempest mußte vom Ufer her einen schönen Anblick bieten: Die offenen Stückpforten, von innen beleuchtet, wirkten wie gelbe Augen. Dazu das Ankerlicht und eine Laterne an der Steuerbordgangway, damit sich der Wachoffizier an Bord bewegen konnte, ohne in der Dunkelheit zu straucheln.
Bolitho dachte an einige der Deportierten, die er gesehen hatte. Gewiß war keiner von ihnen wegen schwerer Vergehen hier, sonst hätte man sie gehenkt. Es beschämte ihn, daß er eben noch finster über seine eigene Trennung von der Heimat gebrütet hatte. Was mußten dagegen diese Verbannten leiden, wenn sie sein Schiff sahen, das schließlich Anker lichten und vielleicht nach England segeln würde. Wogegen sie
Er blickte überrascht auf, als an die Außentür geklopft wurde. Es war Borlase, der Zweite Offizier. Als Wachführer war er zweifellos der einzige Offizier an Bord in voller Uniform. Er war sechsundzwanzig Jahre alt, groß und kräftig gebaut, und doch waren seine Züge weich, sogar sanft, und sein Gesicht wirkte im allgemeinen leicht überrascht. Bolitho vermutete, daß das ursprünglich eine Tarnung für seine Empfindungen gewesen, jetzt aber zur ständigen Gewohnheit geworden war. Borlase war Erster Offizier auf einer kleinen Fregatte gewesen, die in der Nähe der Philippinen auf Grund gelaufen und verloren gegangen war. Zum Glück hatte sich ein Ostindienfahrer in der Nähe befunden und die gesamte Besatzung bis auf drei Mann gerettet. Von einem hastig eingesetzten Kriegsgericht wurde der Kommandant der Fregatte wegen Nachlässigkeit im Dienst unehrenhaft entlassen. Borlase war zu der Zeit wachhabender Offizier gewesen, und seine Aussage hatte dazu beigetragen, daß sein Kommandant in der Versenkung verschwand. Bolitho fragte:»Was gibt es, Mr. Borlase?«Der Leutnant trat in den Lichtschein der Lampe.»Das Wachboot hat diese Depesche für Sie gebracht, Sir. «Er leckte sich die Lippen, eine weitere kindliche Angewohnheit.»Vom Gouverneur.»