Bolitho.
Der Mann starrte ihn verständnislos an. Allday führte ihn am Arm beiseite, fort von dem Zug langsam auftauchender Jammergestalten.
Dann antwortete der Mann endlich:»Archer, Sir. Böttcher auf der Eurotas.»
Bolitho fragte leise:»Und die Passagiere? Wo befinden sie sich?»
«Passagiere?«Das Nachdenken schien ihm schwer zu fallen.»Ich ich glaube, sie sind noch im Orlop, Sir. «Er deutete hinter sich.»Die meisten hier sind Deportierte. Wir stecken seit Tagen da unten. «Er starrte wild um sich.»Wasser! Ich muß Wasser haben.»
Bolitho befahl:»Öffnen Sie jedes Wasserfaß, das Sie finden, Miller, und teilen Sie Rationen aus. Sie wissen, was Sie zu tun haben. «Er schob seinen Degen in die Scheide.»Mr. Ross soll ein Boot zu Sergeant Quare und seinen Leuten schicken. «Sein Verstand weigerte sich noch, an die notwendigen Details zu denken. Zu Allday gewandt, fügte er hinzu:»Zum Orlop! Schnell.»
Eine weitere Luke, eine weitere Leiter, führten unter die Wasserlinie. Selbst auf einem so großen Schiff wie der Eurotas war nicht Platz genug, um unter Deck aufrecht zu stehen.
Laternen schwankten wie zum Gruß, als vorn weitere Matrosen durch eine andere Luke das Orlopdeck erreichten. Winzige Kabinen, eigentlich nur Löcher, säumten den Mittelgang, fast wie jene auf einem Kriegsschiff, in denen die Funktionäre ohne Tageslicht hausten: Segelmacher und Böttcher wie dieser Archer, Zimmerleute und Proviantmeister.»Öffnet die Türen!»
Er hörte eine Frau hysterisch schluchzen; ein Mann weiter vorn sprach ihr tröstend zu.
Allday rief:»Hier, Captain!«, und hob seine Laterne, um Bolitho zu leuchten.
Sie saß auf einer umgestürzten Kiste, den Arm um ein Mädchen mit langem, schwarzem Haar gelegt, wahrscheinlich das Mädchen, das oben an Deck gehetzt worden war.
Das Mädchen stöhnte, das Gesicht gegen Viola Raymonds Schulter gepreßt, und ihre Finger krallten sich wie kleine, gierige Krallen in das mattweiße Kleid. Bolitho konnte nicht sprechen. Hinter sich hörte er ein wildes Durcheinander von Weinen und Schluchzen: Menschen, die wieder vereint waren, und andere, die erfolglos nach Verwandten oder Freunden suchten. Doch das alles geschah wie auf einem anderen Stern. Viola erhob sich langsam, zog das Mädchen mit hoch.»Geh mit ihm. «Sie drückte es fester an sich, als das Mädchen vor Furcht zitterte.»Allday ist ein guter Mann und wird dir nichts tun.»
Das Mädchen löste sich von ihr, eine Hand noch nach ihr ausgestreckt. Als ob sie ausgestoßen würde, dachte Bolitho. Allday stellte die Laterne ab und schloß die Tür hinter sich. Bolitho streckte die Arme aus und umfaßte Violas Schultern, spürte, wie die Fassung sie verließ, als sie seinen Nacken umschlang und die Lippen fest an seine Wange preßte.
«Endlich!«Sie umklammerte ihn noch fester.»Oh, mein Geliebter, endlich bist du zurückgekommen, um uns zu retten.»
«Ich bringe dich zur Kajüte«, sagte er.
«Nein! Nicht dorthin. «Sie blickte zu ihm auf, immer noch ungläubig staunend.»Bring mich an Deck.»
Sie tasteten sich durch das Gewimmel von Männern und
Frauen, Matrosen und neu angekommenen Marinesoldaten,
bis sie das hohe Achterdeck erreichten. Dann stand sie im frischen Wind, strich sich wiederholt mit den Fingern durch das Haar und holte so tief Luft, als ob jeder Atemzug ihr letzter wäre.
Bolitho konnte sie nur ansehen. Er fürchtete um sie, hätte ihr gern geholfen. Er zwang sich zu der Frage:»Und dein Mann? Ist er in Sicherheit?»
Sie nickte langsam und wandte sich ihm zu.»Aber wo ist dein Schiff?»
«Das Risiko war zu groß«, erklärte er.»Sie hätten euch alle umgebracht, ehe die Tempest in die Bucht eingelaufen wäre.»
Sie kam quer über das Deck auf ihn zu, der Saum ihres Kleides schleifte über die ausgetretenen Planken. Sie sprach nicht, aber ihr Blick blieb auf ihn gerichtet, bis sich ihre Körper berührten.
Dann erst brach sie zusammen, schluchzte an seiner Brust und vergaß das Schiff und alles um sie herum. Keen blieb mit einem Fuß auf der obersten Sprosse zum Achterdeck stehen. Er hatte ein Dutzend Fragen an seinen Kommandanten. Doch als er die beiden sah, verzichtete er darauf und kehrte zum Hauptdeck zurück. Seine Stimme klang plötzlich wieder fest.
«Bleiben Sie auf Station, Mr. Ross. Mr. Swift, kümmern Sie sich um die Verletzten, und berichten Sie mir dann. «Allday beobachtete ihn und erinnerte sich an den jungen Midshipman, den er einst vor einem qualvollen Tod bewahrt hatte. Jetzt war Keen ein Mann, ein Offizier des Königs. Dann wandte Allday sich um und blickte zum Achterdeck. Nun, Keen sollte eigentlich ein guter Offizier werden, dachte er. Schließlich
hatte er das beste Vorbild.
VI Revanche
EurotasEr stand auf und ging zu dem hohen Heckfenster. In einiger Entfernung an Steuerbord segelte sein eigenes Schiff, die Tempest: ein bildschöner Anblick. Bram- und Marssegel schimmerten rosig im Sonnenlicht, ihr Bug sprühte Gischt, während sie stetig eine Welle nach der anderen durchpflügte.
Herrick hielt die Tempest weit in Luv für den Fall, daß doch jemand auf der Eurotas einen Handstreich versuchen sollte. Wäre wirklich jemand töricht genug dafür, konnte er die Fregatte sofort unter vollen Segeln heranbringen und das andere Gesicht zeigen, das Bolitho erst vor drei Tagen an ihm gesehen hatte.