«Ich habe einen von uns im Vorschiff gesehen, Sir. «Miller hatte den Kopf vorsichtig über die Bordwand des Bootes gehoben.»Bei Gott, sie sind oben. Sie haben es geschafft!«Das Boot war jetzt fast längsseit, und Bolitho erkannte die Schanzkleidpforte und daneben zwei dunkle Gestalten, die ihre Annäherung beobachteten. Er konnte das Schiff auch riechen, diese vertraute Mischung aus Teer und Hanf. Einer der beiden Beobachter wandte sich dem Vorschiff zu, als dort in einem kurzen Aufleuchten des Mondes eine Gestalt sichtbar wurde; sie schwankte nach beiden Seiten und griff haltsuchend in die Wanten.
Allday flüsterte:»Das ist Haggard, Captain. Als Schauspieler besser als auf dem Mast, wie es scheint. «Haggard zog jetzt die Aufmerksamkeit der Wache voll auf sich. Würdevoll richtete er sich plötzlich auf und stürzte dann mit einem lauten Klatschen ins Wasser. Zweierlei ereignete sich jetzt fast gleichzeitig: Die Wachtposten verließen die Pforte und verschwanden in Richtung Vorschiff
ihm stürzte und preßte dabei die Hände vor den Leib, während ihm bereits Blut aus dem Mund strömte. Jenner riß den rechten Arm hoch, und ein kleiner Dolch schwirrte wie ein blitzender Pfeil in die offene Tür. Als Bolitho sie erreichte, hatte Jenner die Klinge bereits aus der Brust seines Opfers gezogen und wischte sie an dessen Hosenbein ab.
Wieder stampften Schritte über das Hauptdeck; Keen drang in die Kampanje ein, einen Krummsäbel in der einen Hand, in der anderen eine leergeschossene Pistole wie eine Keule haltend.
«Vorschiff und Oberdeck sind unser, Sir. «Er atmete sehr schnell; im Licht der Laterne funkelten seine Augen noch vor Kampfeslust.»Einige sind im Boot entkommen«, fügte er hinzu.»Aber Quares Scharfschützen werden sie wohl erledigen. «Er blickte auf die Toten nieder.»Es ist uns gelungen, zwei Gefangene zu machen. «Bolitho nickte kurz.»Öffnet die Achterluke, macht euch aber auf Überraschungen gefaßt. Mr. Ross übernimmt den Befehl auf dem Oberdeck. Paßt auf, daß keiner das Ankertau kappt.»
Er ging an der letzten Offizierkammer vorbei auf die große Achterkajüte zu. Wieder das wilde Durcheinander von Kleidungsstücken und ausgeleerten Seekisten. Auf dem Tisch des Kapitäns standen die Reste einer nicht beendeten Mahlzeit. Daneben lag das Kleid einer Frau: blutbefleckt. Plötzlich war es sehr still, als ob das ganze Schiff vor Entsetzen lausche.
«Weiter!«Er verließ die Kajüte. Allday blieb ihm auf den Fersen, wandte den Kopf nach rechts und links, als wolle er Bolitho vor einem plötzlichen Angriff schützen. Als die Luke nicht ohne Schwierigkeiten geöffnet worden war, denn sie war wie auf einem Sklavenschiff mit Balken verkeilt und mit Ketten gesichert, wurde es Bolitho fast übel von dem Gestank nach Exkrementen und Angst, der ihm entgegenschlug.
Doch kein Laut war zu vernehmen, nur das gewohnte Knarren der Takelage. Hatten die Meuterer alle Menschen an Bord der Eurotas umgebracht?
Allday flüsterte:»Wenn jemand dort unten ist, Captain, muß er glauben, auf dem Schiff sei die Hölle ausgebrochen. «Bolitho starrte ihn betroffen an. Warum hatte er selbst nicht daran gedacht? Erst das Grauen, der brutale Terror der vergangenen Wochen, und jetzt der ohrenbetäubende Kampfeslärm. Kein Wunder, daß sie sich still verhielten. Er verharrte am Lukensüll, Alldays plötzliche Befürchtungen und die Tatsache ignorierend, daß er sich vor dem Mondlicht deutlich abhob.
«Ahoi da unten!«Er wartete, hörte aber nur den Widerhall seiner Stimme.»Wir sind von Ihrer Majestät Schiff
Tempest!»
Es schien endlos lange zu dauern und seine schlimmsten Befürchtungen zu bestätigen, bis ihm dann endlich aus dem Bauch des Schiffes ein wachsender Chor von Schreien und Schluchzern antwortete.»Schnell hinunter, Leute!»
Bolitho wartete, bis weitere Matrosen mit Laternen zur Luke geeilt waren, und kletterte dann mit ihnen in das nächste Deck hinunter. Neben einer weiteren verschlossenen Luke stand ein Stuhl aus der Offiziersmesse, mit einem Trinkgefäß in Reichweite, und kennzeichnete die Stelle, wo bis zum Augenblick ihres Angriffs ein Wachtposten gesessen hatte.
Wieder schoben sie schwere Balken beiseite und hoben den Lukendeckel: ein kleiner Laderaum, wohl für Vorräte des Kapitäns und der Offiziere des Schiffes benutzt. Unbeleuchtet und schlecht belüftet, war er von Wand zu Wand mit Menschen vollgepfercht. Bolitho schien auf einen dichten Teppich menschlicher Gesichter zu blicken, die sich entsetzt und verstört nach oben wandten: Männer und Frauen, verdreckt und heruntergekommen, im letzten
Stadium des Vegetierens.
Bolitho sprach so gelassen er konnte:»Fürchten Sie sich nicht. Meine Leute werden für Sie sorgen. «Sein kleines Kommando? Er wußte nicht, wie viele gefallen oder verwundet waren. Bewaffnet oder nicht, wenn diese Menschenmasse sie angriff, hatten sie nur wenig Chancen. Dort unten mußten annähernd zweihundert Personen sein. Miller trat an die Luke, schien sich wieder gefaßt zu haben. Seine Stimme klang fest, als er einige Leute anwies, in den Laderaum hinunterzusteigen. Gedämpft sagte er:»Mr. Ross hat drei Drehbassen mit Schrapnell laden und auf die Luke richten lassen. Bei der geringsten Aufsässigkeit werden sie von Deck gefegt, ehe sie wissen, was sie trifft. «Er hatte seinen Kampfrausch also noch nicht überwunden. Die Menschen, die aus dem vollgepferchten Laderaum langsam auftauchten, boten jedoch einen schrecklichen Anblick. Manche stützten sich gegenseitig aus Schwäche oder Furcht. Einer von ihnen, mit einer Schnittwunde über dem Auge und einem Gesicht, das vor Prellungen fast schwarz war, trug eine Matrosenjacke.»Wer sind Sie?«fragte