Leroux nickte.»Berichten Sie dem Kommodore, Manners.»
Der Marine-Infanterist sprach Cornwalldialekt, Heimatklänge für Bolitho.»Die Rinne ist schon da, Sir. Aber da muß 'n großer Einsturz gewesen sein. Es geht fast senkrecht hinunter, hoch wie die Wand einer Kathedrale. Ich war nämlich Hauer im Zinnbergwerk in Cornwall, ehe ich anmusterte, Sir.»
«Dann wissen Sie, wovon Sie reden. «Bolitho sah an ihnen vorbei und suchte das Unerwartete zu verarbeiten.
«Ich könnte ja probieren, an 'ner Wurfankerleine hinunterzu-klettern, Sir.»
Bolitho schüttelte den Kopf.»Im Dunkeln ist das zu gefährlich. «Er blickte Leroux an.»Was meinen Sie?»
«Es würde Stunden dauern«, antwortete der Major.»Und selbst wenn wir es schafften, wären die Männer hinterher zu erschöpft für ein Gefecht.»
«Und die Lysander wäre schon in der Bucht.»
Verzweiflung überkam Bolitho. Blind war er gewesen und zu dumm, ein natürliches Hindernis einzuplanen, das alle Vorbereitungen zu bloßer Zeitvergeudung machte und nur unnütz Menschenleben kostete. Er hatte sich auf die spärlichen Angaben der Karte und auf seinen Übereifer verlassen. Und auf er stieß sich an dem Wort auf seinen Rachedurst.
«Wir müssen die Rinne umgehen, Sir. «Leroux blickte ihn gespannt an; er war ebenso betroffen.»Jedoch»
«Eben, Major Leroux. Dieses >jedoch< ist das Problem.»
Leutnant Nepean warf ein:»Dann umgehen wir eben die Verteidigungsanlagen der Bucht und stürmen die Batterie von der Landseite her, Sir.»
Leroux seufzte.»Geben Sie durch an Sergeant Gritton: Weitermarsch hinter dem Vortrupp her. Etwas anderes bleibt uns jetzt auch gar nicht mehr übrig, Sir«, sagte er leise zu Bolitho. Es hätte wie ein Vorwurf klingen können, aber es war keiner.
Gilchrists lange Gestalt tauchte aus dem Dunkel auf.»Ich höre, wir können nicht durch die Rinne, Sir.»
«Stimmt. «Bolitho versuchte zu erkennen, wie Gilchrist darauf reagierte.»Also müssen wir doch unseren Gewaltmarsch machen.»
Wieder stapften die Marine-Infanteristen an ihm vorbei, die Musketen umgehängt; jeder starrte mit gebeugtem Kopf auf die Beine seines Vordermannes. Die meisten wußten gar nicht, warum sie überhaupt hier waren. Aber sie hatten Vertrauen. Es war, als riefe ihm jemand dieses Wort zu. Das war alles, was sie hatten, und er hatte es enttäuscht.
«Ich mache mir nur Sorgen um das, was danach kommt, Sir«, sagte Gilchrist dumpf, wandte sich um und nahm seinen Platz an der Spitze der nächsten Gruppe wieder ein.
«Dieser Mann fällt mir auf die Nerven, Sir«, knurrte Leroux.
Bolitho blickte ihn von der Seite an.»Dienstlich ist Captain Herrick durchaus mit ihm zufrieden.»
Leroux hieb mit seinem Säbel nach einem Busch.»Ich rede nicht gern über andere Leute hinter ihrem Rücken.»
«Erinnern Sie sich noch an Ihr Wort von vorhin, Major?«Wieder ein wütender Hieb Leroux' nach einem Strunk Heidekraut. »Jedoch»
«Ich weiß, daß Captain Herrick schon früher mit Ihnen gefahren ist, Sir. Das ganze Geschwader weiß es. Er ist ein feiner Mann und gerecht. Auf einem Linienschiff beides zusammen zu sein, ist gar nicht so leicht.»
«Da haben Sie vollkommen recht, Major. Thomas Herrick ist seit der amerikanischen Revolution mein Freund. Er hat mir mehr als einmal das Leben gerettet.»
«Und Sie ihm auch, möchte ich annehmen, Sir. «Leroux warf einen raschen Blick auf die Reihe seiner keuchenden Seesoldaten.»Herrick hat eine Schwester, wissen Sie das, Sir?»
«Ja. Das arme Mädchen hat viel auszuhalten. Auch das weiß ich.»
«Ja, sie ist gelähmt. Ich habe sie kennengelernt, als ich für Cap-tain Herrick in Kent war, bei der Neuausrüstung der Lysander. So ein hübsches Mädchen, aber mit gelähmten Gliedern ein herzzerreißender Anblick. Mr. Gilchrist ist mit ihr verlobt«, schloß er langsam.
Bolitho packte den Degengriff fester und starrte in die Dunkelheit, bis ihm die Augen schmerzten. Er war so mit seinen eigenen Angelegenheiten beschäftigt gewesen, daß er sich um die übrige Welt, um die Welt Herricks, überhaupt nicht gekümmert hatte. Herrick hatte seine dienstliche Laufbahn als armer, unprivilegierter
Mann begonnen. Im Vergleich zu Offizieren wie Farquhar oder schließlich auch zu ihm, Bolitho, selbst war er immer noch arm. Im Lauf der Jahre hatte er sich zwar etwas erspart, seine mageren Prisengelder mit dem Bonus bei seiner Beförderung zum Fregattenkapitän etwas aufgebessert, aber von einem Vermögen konnte nicht die Rede sein.
«Captain Herricks Mutter starb kurz bevor wir aus Spithead ausliefen«, sagte Leroux.»Deshalb ist seine Schwester jetzt ganz allein.»
Wie war es eigentlich, als ich damals an Bord der Lysander kam? überlegte Bolitho.»Davon hat er mir nichts gesagt«, antwortete er dann.»Aber vielleicht habe ich ihm auch keine Gelegenheit dazu gegeben.»
Er schwieg; Leroux eilte wieder dem Vortrupp nach und überließ Bolitho seinen Gedanken.
Herrick liebte seine Schwester sehr, das wußte Bolitho. Einen Mann für sie zu finden, war ihm sicher wichtiger als alles andere, selbst wichtiger als seine Freundestreue. Doch warum verhielt sich Gilchrist so feindselig? Und warum wollte er ausgerechnet ein gelähmtes Mädchen heiraten? Bolitho war beides unerklärlich.