«Was meinen Sie, Sir?«fragte Herrick leise.»Gute oder schlechte Nachrichten?»
Bolitho biß sich auf die Lippe. Inch war lange weg gewesen. Da das kleine Geschwader wichtige Informationen über Stärke und Bewegungen des Feindes gesammelt hatte, konnten inzwischen alle möglichen Entscheidungen getroffen worden sein.
«Meiner Ansicht nach«, entgegnete er,»wird man jetzt eine Blockade der französischen Häfen aufbauen. Wenn Brueys erfahren hat, daß seine Versorgungsflotte und seine schwere Artillerie bei Korfu vernichtet worden sind, dürfte er über eine Invasion Englands etwas anders denken. Unsere Leute haben hart gearbeitet, Thomas. Ich hoffe, damit haben sie der Flotte wenigstens genug Zeit verschafft, daß eine entscheidende Unternehmung vorbereitet werden kann.»
Als die Harebell nahe genug heran war, um ein Boot auszusetzen, hing fetter Kombüsenrauch in der Luft. Es fiel Bolitho auf, daß die meisten der wachfreien Matrosen an Deck blieben, statt ihr Mittagessen zu fassen. Sie wollten Inch ankommen sehen und erfahren, was jetzt geschehen sollte.
In der großen Kajüte setzte Bolitho Commander Inch ein Glas Wein vor, damit er erst einmal zu Atem käme.
Dabei kam ihm der Gedanke, daß es nach den Schlachten und ihren schweren Verlusten oftmals Männern wie Inch zufiel, Nachrichten von höchster Wichtigkeit zu überbringen. An Land hätte man ihn kaum bemerkt. Schlaksig, mit langem Pferdegesicht und ständig aufgeregt zappelnd, schien er kaum aus dem Stoff zu sein, aus dem die Helden gemacht waren, wie sie sich das Publikum gern vorstellte. Doch Bolitho wußte es besser und hätte Inch nicht für ein Dutzend anderer eingetauscht.
«Ich habe die Depeschen abgeliefert«, berichtete Inch,»und «, er warf einen raschen Blick auf Herrick ,»meinen Passagier ebenfalls, Sir. Dann geriet ich in ungeheuer hektischen Betrieb. «Er runzelte die Stirn, um seine Gedanken zu sammeln.»Vizeadmiral
Sir Horatio Nelson passierte Anfang Mai mit seinem Flaggschiff Gibraltar und nahm Kurs auf Toulon.»
Herrick atmete tief auf.»Gott sei Dank!»
Inch starrte ihn an.»Nein, Sir, so ist das leider nicht. Wir hatten einen starken Sturm, Nelsons Schiffe wurden zerstreut, sein eigenes entmastet und beinahe auf Strand geworfen. Er mußte einen Nothafen anlaufen, um seine Schäden zu reparieren: die Insel San Pietro vor Sardinien.»
«Verdammtes Pech«, stöhnte Herrick.
Inch schüttelte den Kopf.»Na ja teils, teils, Sir.»
«Los, Mann«, sagte Bolitho ungeduldig,»spucken Sie's schon aus!»
Inch grinste entschuldigend.»Die Reparaturen haben Nelsons Pläne verzögert, aber ge rade dadurch konnte die Verstärkung ihn noch erreichen. Jetzt befehligt er vierzehn Linienschiffe, aber «, Inch sah, daß sich Herricks Miene erhellt hatte, und fuhr eilig fort:»Die Sache ist die, Sir, derselbe Sturm, der die Vanguard entmastete, hat den Franzosen Gelegenheit gegeben, zu entwischen. «Er blickte von einem zum anderen.»Die Franzosen sind ausgelaufen, Sir.»
Bitter sagte Herrick:»Genau wie damals unsere Transporter. Verdammtes Dreckwetter!»
«Ist das alles, Commander Inch?«Bolitho bemühte sich, gleichmütig zu sprechen, doch er fühlte die Enttäuschung in sich hochsteigen.
Inch hob die Schultern.»Die Franzosen haben Malta kampflos genommen, Sir. Nelsons Schiffe haben Brueys' Flotte nicht aufgespürt. Er ist durch das ganze Ligurische Meer hinter ihnen hergefahren und hat sogar in mehreren Häfen gesucht, wo französische Schiffe mit Reparaturen liegen mochten.»
«Das haben Sie sehr gut gemacht, Inch«, sagte Bolitho und bedeutete Ozzard, Wein einzuschenken.»Und haben Sie Depeschen für mich?»
Inch nickte.»Der Admiral hatte mich nach Neapel beordert, Sir. Dort traf ich dann endlich unsere Flotte. «Er grinste verlegen.»Und Nelson auch.»
«Was, zum Teufel, den?«Herrick starrte ihn an.»Das hätte ich sehen mögen!»
«So sind Sie also nicht auf die Perle gestoßen«, sagte Bolitho nachdenklich.
Herrick erläuterte Inch, wie ihr Gefecht verlaufen war, und daß sie Prisen hatten. Bolitho hörte nicht hin. Seine Gedanken waren anderswo. Wenn Fitz-Clarence nun in Gibraltar war, mußte er zu spät gekommen sein; Bolitho konnte mit seinem Geschwader auch nicht mehr umkehren und Nelson suchen. Er machte sich Vorwürfe, weil er nicht geglaubt hatte, daß auf seine dürftigen Informationen hin die ganze britische Flotte so schnell auslaufen würde.
Aufgeregt fragte Inch:»Wo sind denn nun die Franzosen? Nelson suchte vor Elba und Civita Vecchia und Neapel und hat keinen einzigen Franzosen gesehen. Sie dagegen kommen von Osten und haben auch keinen gefunden. Ich verstehe das nicht.»
Bolitho wandte sich ihnen wieder zu.»Hat Nelson Sie gut aufgenommen?»
«Gewiß, Sir, jawohl. «Inch runzelte die Stirn.»Er war ja nicht ganz so, wie ich erwartet hatte, aber ich fand ihn sehr gewinnend, obwohl er offenbar Sorgen hatte.»
Bolitho fragte sich, was wohl hinter diesen einfachen Worten stecken mochte. War Nelson wütend auf ihn, weil er die Franzosen ebenfalls verloren hatte? Weil er eine britische Flotte, die anderswo dringend gebraucht wurde, ins Leere geschickt hatte?