Bolitho warf einen Blick auf die ungefüge Gestalt des Steuermanns neben dem doppelten Steuerrad. Er hatte vier Rudergasten eingeteilt anscheinend wollte er kein Risiko eingehen, weder mit dem Ruder noch mit der Seemannschaft seines neuen Kapitäns.
«Bringen Sie das Schiff in Fahrt. «Er sah, wie Herrick sein Megaphon hob.»Sobald wir aus dem küstengebundenen Schiffsverkehr draußen sind, gehen wir auf Backbordbug und nehmen Kurs Westsüdwest.»
Der alte Mudge nickte gewichtig, das linke Auge hinter der vorspringenden Nase verborgen.
«Aye, aye, Sir.»
Herrick brüllte:»Klar bei Ankerspill!«Er beschattete die Augen mit der Hand, um den Wimpel im Masttopp besser sehen zu können.»Vorsegel los!»
Beim Flappen und Rauschen der fallenden Leinwand blickten sich einige der Neuen verwirrt um. Ein Deckoffizier gab einem ein Ende in die Hand und schnauzte:»Hol dicht, du Esel! Steh nicht da und glotze wie ein Frauenzimmer!»
Ein Bootsmannsmaat saß rittlings auf dem Bugspriet und signalisierte durch Armzeichen, wie die Ankertrosse sich immer mehr spannte und ihr Winkel unter der vergoldeten Gallionsfigur immer stumpfer wurde.
«Aufentern! Marssegel los!»
Bolithos Spannung löste sich etwas, als die leichtfüßigen Toppsgasten zu beiden Seiten in den Wanten emporkletterten. Es hatte keinen Zweck, beim erstenmal auf besondere Eile zu drängen. Die kritischen Beobachter an Land mochten denken, was sie wollten. Er hatte keine Lust zu riskieren, daß ihm das Schiff abtrieb.
«An die Brassen!»
Herrick hing halb über der Reling und schwenkte das Sprachrohr im Halbkreis wie ein Kutscher seine Donnerbüchse bei einem Raubüberfall.»Fix da! Mr. Shellabeer, scheuchen Sie diese verdammten Faulpelze gefälligst!»
Shellabeer war der Bootsmann: wortkarg und tiefbrünett, sah er eher wie ein Spanier als wie ein Mann aus Devon aus.
Bolitho lehnte sich, die Hände in den Hüften, etwas
das ist der Punkt, an dem sich sein Schicksal entscheidet.
Bolitho erkannte alle diese Zeichen wieder und wußte, daß sie für ihn eine ähnliche Herausforderung bedeuteten: gab er seinem Verständnis, seinem Mitgefühl nach, hörte er sich von seinen überlasteten Leutnants und Deckoffizieren zu viele Entschuldigungen an, würde er das Schiff nie in den Griff bekommen, nie seine Leute in Schwung bringen, wenn es wirklich hart auf hart ging. Er wußte, daß viele ihn heimlich verfluchten und beteten, der Schlag möge ihn treffen oder er möge nachts über Bord fallen. Er sah ihre finsteren Blicke, spürte ihren Widerstand, wenn er an ihnen vorbeiging, zu jeder Stunde des Tages. Segeldrill immer wieder und wieder, stets nach Herricks Uhr gestoppt; und mit voller Absicht ließ er alle Beteiligten merken, daß er genau beobachtete, ob sie sich auch wirklich Mühe gaben. Er ließ die Mannschaften der drei Masten beim Segelsetzen oder Reffen miteinander in Wettbewerb treten, bis sie schließlich mit äußerster Anstrengung arbeiteten nicht in sportlichem Geist, sondern in keuchender Wut und unter lautlosen Flüchen.
Jetzt, über seinem Becher Kaffee, empfand er widerwillige Befriedigung über das, was sie gemeinsam geleistet hatten, sei es aus freiem Willen oder unter hartem Zwang. Wenn die Undine an diesem Tag in Santa Cruz vor Anker ging, würden die kritischen Spanier eine Demonstration disziplinierter Seemannschaft zu sehen bekommen der gleichen, die sie in Kriegszeiten kennen und fürchten gelernt hatten.
So wie er seine Mannschaft bis an die Grenze ihrer Kräfte getrieben hatte, hatte er auch sich selbst nicht geschont. Und das spürte er trotz der einladenden Strahlen der Morgensonne, die über die Decksaufbauten spielte. Fast bei jeder Wache, ob Tag oder Nacht, war er eine Zeitlang an Deck gewesen und hatte sich um den Dienst gekümmert. Leutnant Davy besaß wenig Erfahrung in der Schiffsführung bei widrigem Wetter; aber mit der Zeit würde er es schon lernen. Soames verlor zu leicht die Geduld, wenn etwas nicht gleich klappte. Dann schubste er den unglücklichen Matrosen beiseite, brüllte:»Ihr habt ja keine Ahnung! Lieber mach' ich es selbst!«und riß ihm die Arbeit aus den Händen. Nur Herrick war imstande, den Sturm der endlosen Forderungen Bolithos abzuwettern; und diesem tat es leid, daß ausgerechnet sein Freund die Hauptlast zu tragen hatte. Es war leicht, einen Matrosen zu bestrafen, wenn in Wirklichkeit der Offizier den Kopf verloren oder in einer scharfen Brise nicht das richtige Wort gefunden hatte. Herrick stand wie ein Fels zwischen Offiziersmesse und Logis, zwischen Kapitän und Mannschaft.
Zweimal mußte sogar Prügelstrafe verhängt werden Bolitho hatte gehofft, dergleichen vermeiden zu können. Beide Fälle hatten ihre Ursache im privaten Bereich des Mannschaftslogis. Beim erstenmal hatte sich ein Dieb an den geringen Ersparnissen eines Matrosen vergriffen. Der zweite Fall war weit ernster: eine wilde Messerstecherei, bei der einem Mann das Gesicht vom Ohr bis zum Kinn aufgeschlitzt worden war. Bolitho wußte nicht einmal, ob es sich um eine wirkliche Feindschaft handelte oder ob bei der allgemeinen Gereiztheit nur ein rascher Funken Mißmut den Brand entzündet hatte. In einem Schiff mit gutem Ausbildungsstand hätte er in beiden Fällen kaum von der Sache gehört. Dann hätte nämlich die Justiz des Mannschaftslogis wesentlich drastischer und rascher funktioniert, wenn ihre private Welt von einem Dieb oder Messerstecher bedroht wurde. Bolitho verabscheute Kapitäne, die ihre Disziplinargewalt gebrauchten, ohne zu bedenken, wie sie einen Menschen zerbrechen konnte; die brutale körperliche Strafen verhängten, ohne dem Übel an die Wurzel zu gehen und so Bestrafungen zu vermeiden, Herrick wußte, wie Bolitho darüber dachte. Als sie sich kennenlernten, war Herrick der jüngste Leutnant auf dem Schiff gewesen, dessen vorheriger Kapitän so streng, so gedankenlos brutal gestraft hatte, daß der Boden für eine Meuterei aufs Beste bereitet war. Herrick wußte in solchen Dingen besser Bescheid als die meisten Offiziere, und doch hatte er es auf sich genommen, persönlich bei Bolitho gegen den Vollzug der Prügelstrafe zu intervenieren. Das war ihre erste wirkliche Meinungsverschiedenheit; und Bolitho hatte mit großem Bedauern an Herricks Augen gesehen, wie sehr diesen die Ablehnung verletzte.