Пресслер Мириам - Bitterschokolade стр 2.

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»Seid ihr mit seinem Auto gefahren?«

»Natьrlich.«

»Mein Bruder ist mit ihm in einer Klasse.«

Er hatte Hunger, ich wusste es. Auch ich hatte Hun­ger, und ich konnte meine Rцcke nur mehr mit Sicher­heitsnadeln daran hindern, mir am Kцrper herunterzu­rutschen. Ich machte die natьrlichste Abmagerungskur der Welt. Ich hatte wenig zu essen.

Die Mдdchen kicherten. Eva konnte nichts mehr verstehen, sie flьsterten jetzt. Franziska setzte sich ne­ben Eva.

»Was liest du denn?«

Eva klappte das Buch zu, den noch nicht gelesenen Teil zwischen Ringfinger und Mittelfinger haltend.

»Warum zeigst du der Welt das Licht?«, las Franzis­ka laut. »Ich kenne es auch. Gefдllt es dir?«

Eva nickte. »Es ist spannend. Und manchmal trau­rig.«

»Magst du traurige Bьcher?«

»Ja. Ich finde, wenn ein Buch gut sein soll, muss man wenigstens einmal weinen kцnnen beim Lesen.«

»Ich weine eigentlich nie beim Lesen. Aber im Kino, wenn es traurig ist, weine ich sehr schnell.«

»Bei mir ist es umgekehrt. Im Kino weine ich nie, aber beim Lesen oft. Ich gehe aber auch selten ins Kino.«

»Wir kцnnten doch mal zusammen gehen. Magst du?«

Eva zuckte mit den Schultern. »Kцnnten wir.«

Wann weinte sie? Welche Stellen in Bьchern waren es, die sie zum Weinen brachten? Eigentlich immer Worte wie Liebe, Streicheln, Vertrauen, Einsamkeit, richtig kitschige Worte. Eva betrachtete Karola und Lena. Lena hatte den Arm um Karola gelegt, sehr be­sitzergreifend, sehr selbstbewusst. So, genau so, hatte Karola frьher den Arm um sie gelegt. Eva kannte das Gefьhl von Wдrme, das man fьhlt, wenn man von je­mand anders den Arm um die Schulter gelegt be­kommt, so ganz offen, vor allen anderen, so selbstver­stдndlich. Es tat weh, das zu sehen. Wussten denn die, die das taten, die ihre Vertrautheit miteinander de­monstrierten, nicht, wie weh das den anderen tat? De­nen, die niemand hatten, die allein waren, ohne Nдhe, ohne jemanden, den man unbefangen anfassen konnte, wenn man wollte.

Eva stand auf. »Ich hole mir noch einen Tee«, sagte sie. Sie wollte Franziska nicht verletzen, die Einzige, von der sie begrьЯt wurde, wenn sie morgens in die Klasse kam.

Eva kam immer spдt, im letzten Moment. An der Ecke FriedrichstraЯe/ElisabethstraЯe war eine Nor­maluhr, dort wartete sie immer, bis es vier Minuten vor acht war, um ja nicht zu frьh anzukommen, um dem morgendlichen >WeiЯt-du-gestern-habe-ich< zu entge­hen.

Der Tee schmeckte schal und sьЯlich. Er war nur heiЯ.

Eva stand vor dem Schaufenster des Feinkostladens Schneider. Sie hatte sich dicht an die Schaufensterschei­be gestellt, damit sie ihr Bild im Glas nicht sehen musste, eine verzerrte, verschwommene Eva. Sie wollte das nicht sehen. Sie wusste auch so, dass sie zu fett war. Jeden Tag, fьnfmal in der Woche, konnte sie sich mit anderen vergleichen. Fьnf Vormittage, an denen sie gezwungen war zuzuschauen, wie die anderen in ihren engen Jeans herumliefen. Nur sie war so fett. Sie war so fett, dass keiner sie anschauen mochte. Als sie elf oder zwцlf Jahre alt gewesen war, hatte es damit ange­fangen, dass sie immer Hunger hatte und nie satt wur­de. Und jetzt, mit fьnfzehn, wog sie einhundertvier-unddreiЯig Pfund. Siebenundsechzig Kilo, und sie war nicht besonders groЯ.

Und auch jetzt hatte sie Hunger, immer hatte sie nach der Schule Hunger. Mechanisch zдhlte sie die Geldstьcke in ihrem Portemonnaie. Vier Mark fьnf-undachtzig hatte sie noch. Der Heringssalat kostete

zwei Mark hundert Gramm. Im Laden war es kьhl nach der sengenden Hitze drauЯen. Bei dem Geruch nach Essen wurde ihr fast schwindelig vor Hunger.

»Zweihundert Gramm Heringssalat mit Mayonnaise, bitte«, sagte sie leise zu der Verkдuferin, die gelang­weilt hinter der Theke stand und sich trдge

am Ohr kratzte. Es schien einen Moment zu dauern, bis sie ka­pierte, was Eva wollte. Doch dann nahm sie den Finger von ihrem Ohr und griff nach einem Plastikbecher. Sie lцffelte die Heringsstьckchen und die Gurkenscheiben hinein, klatschte noch einen Lцffel Mayonnaise darauf und stellte den Becher auf die Waage. »Vier Mark«, sagte sie gleichgьltig.

Hastig legte Eva das Geld auf den Tisch, nahm den Becher und verlieЯ gruЯlos den Laden. Die Verkдufe­rin fuhr fort, sich am Ohr zu kratzen.

DrauЯen war es wieder heiЯ, die Sonne knallte vom Himmel. Wie kann es nur im Juni so warm sein, dachte Eva. Der Becher in ihrer Hand war kalt. Sie beschleu­nigte ihre Schritte, sie rannte fast, als sie den Park be­trat. Ьberall auf den Bдnken saЯen Leute in der Sonne, Mдnner hatten sich die Hemden ausgezogen, Frauen die Rцcke bis weit ьber die Knie hochgeschoben, da­mit auch ihre Beine braun wьrden. Eva ging langsam an den Bдnken vorbei. Schauten ihr die Leute nach? Redeten sie ьber sie? Lachten sie darьber, dass ein jun­ges Mдdchen so fett sein konnte?

Sie war an den Bьschen angekommen, die die Bank-

reihe von dem Spielplatz trennten. Schnell drьckte sie sich zwischen zwei WeiЯdornhecken hindurch. Die Zweige schlugen hinter ihr wieder zusammen.

Hier war sie ungestцrt, hier konnte sie keiner sehen. Sie lieЯ die Schultasche von der Schulter gleiten und kauerte sich auf den Boden. Das Gras kitzelte ihre nackten Beine. Sie hob den Deckel von dem Becher und legte ihn neben sich auf den Boden. Einen Mo­ment lang starrte sie den Becher andдchtig an, die graurosa Heringsstьckchen in der fetten, weiЯen Mayonnaise. An einem Fischstьck sah man noch die blausilberne Haut. Sie nahm dieses Stьck vorsichtig zwischen Daumen und Zeigefinger und steckte es dann in den Mund. Kьhl war es und sдuerlich scharf. Sie schob es langsam mit der Zunge hin und her, bis sie auch deutlich den dдmpfenden, fetten Geschmack der Mayonnaise spьrte. Dann fing sie an zu kauen und zu schlucken, griff wieder mit den Fingern in den Becher und stopfte die Heringe in den Mund. Den letzten Rest der Sauce schabte sie mit dem Zeigefinger heraus. Seufzend erhob sie sich, als der Becher leer war, und warf ihn unter einen Busch. Dann nahm sie ihre Schul­tasche wieder ьber ihre Schulter und glдttete mit den Hдnden ihren Rock. Sie fьhlte sich traurig und mьde.

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